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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Verständigkeit und in der anmuthigen Kunst, sich
von der gestrengen Jungfrau im Zaume halten
zu lassen und sie ohne Eigennutz zu bewundern,
und wenn die ganze Gesellschaft bei einander
war, glich sie einem seltsamen Konventikel, in
welchem die sonderbarsten Reden geführt wurden.
Trotz aller Frömmigkeit und Demuth geschah es
doch alle Augenblicke, daß Einer oder der An¬
dere, vom Lobpreisen der gemeinsamen Herrin
plötzlich abspringend, sich selbst zu loben und
herauszustreichen versuchte und sich, sanft von
ihr zurechtgewiesen, beschämt unterbrochen sah oder
anhören mußte, wie sie ihm die Tugenden der
Übrigen entgegenhielt, die er eiligst anerkannte
und hervorhob.

Aber dies war ein strenges Leben für die
armen Kammmacher; so kühl sie von Gemüth
waren, gab es doch, seit einmal ein Weib im
Spiele, ganz ungewohnte Erregungen der Eifer¬
sucht, der Besorgniß, der Furcht und der Hoff¬
nung; sie rieben sich in Arbeit und Sparsamkeit
beinahe auf und magerten sichtlich ab; sie wur¬
den schwermüthig und während sie vor den Leu¬
ten und besonders bei Züs sich der friedlichsten

Verſtändigkeit und in der anmuthigen Kunſt, ſich
von der geſtrengen Jungfrau im Zaume halten
zu laſſen und ſie ohne Eigennutz zu bewundern,
und wenn die ganze Geſellſchaft bei einander
war, glich ſie einem ſeltſamen Konventikel, in
welchem die ſonderbarſten Reden geführt wurden.
Trotz aller Frömmigkeit und Demuth geſchah es
doch alle Augenblicke, daß Einer oder der An¬
dere, vom Lobpreiſen der gemeinſamen Herrin
plötzlich abſpringend, ſich ſelbſt zu loben und
herauszuſtreichen verſuchte und ſich, ſanft von
ihr zurechtgewieſen, beſchämt unterbrochen ſah oder
anhören mußte, wie ſie ihm die Tugenden der
Übrigen entgegenhielt, die er eiligſt anerkannte
und hervorhob.

Aber dies war ein ſtrenges Leben für die
armen Kammmacher; ſo kühl ſie von Gemüth
waren, gab es doch, ſeit einmal ein Weib im
Spiele, ganz ungewohnte Erregungen der Eifer¬
ſucht, der Beſorgniß, der Furcht und der Hoff¬
nung; ſie rieben ſich in Arbeit und Sparſamkeit
beinahe auf und magerten ſichtlich ab; ſie wur¬
den ſchwermüthig und während ſie vor den Leu¬
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[399/0411] Verſtändigkeit und in der anmuthigen Kunſt, ſich von der geſtrengen Jungfrau im Zaume halten zu laſſen und ſie ohne Eigennutz zu bewundern, und wenn die ganze Geſellſchaft bei einander war, glich ſie einem ſeltſamen Konventikel, in welchem die ſonderbarſten Reden geführt wurden. Trotz aller Frömmigkeit und Demuth geſchah es doch alle Augenblicke, daß Einer oder der An¬ dere, vom Lobpreiſen der gemeinſamen Herrin plötzlich abſpringend, ſich ſelbſt zu loben und herauszuſtreichen verſuchte und ſich, ſanft von ihr zurechtgewieſen, beſchämt unterbrochen ſah oder anhören mußte, wie ſie ihm die Tugenden der Übrigen entgegenhielt, die er eiligſt anerkannte und hervorhob. Aber dies war ein ſtrenges Leben für die armen Kammmacher; ſo kühl ſie von Gemüth waren, gab es doch, ſeit einmal ein Weib im Spiele, ganz ungewohnte Erregungen der Eifer¬ ſucht, der Beſorgniß, der Furcht und der Hoff¬ nung; ſie rieben ſich in Arbeit und Sparſamkeit beinahe auf und magerten ſichtlich ab; ſie wur¬ den ſchwermüthig und während ſie vor den Leu¬ ten und beſonders bei Züs ſich der friedlichſten

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/411>, abgerufen am 29.11.2024.