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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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Beredtsamkeit beflissen, sprachen sie, wenn sie
zusammen bei der Arbeit oder in ihrer Schlaf¬
kammer saßen, kaum ein Wort mit einander
und legten sich seufzend in ihr gemeinschaft¬
liches Bett, noch immer so still und verträglich
wie drei Bleistifte. Ein und derselbe Traum
schwebte allnächtlich über dem Kleblatt, bis er
einst so lebendig wurde, daß Jobst an der Wand
sich herumwarf und den Dietrich anstieß; Die¬
trich fuhr zurück und stieß den Fridolin, und nun
brach in den schlummertrunkenen Gesellen ein
wilder Groll aus und in dem Bette der schreck¬
barste Kampf, indem sie während drei Minuten
sich so heftig mit den Füßen stießen, traten und
ausschlugen, daß alle sechs Beine sich in einan¬
der verwickelten und der ganze Knäuel unter
furchtbarem Geschrei aus dem Bette purzelte.
Sie glaubten, völlig erwachend, der Teufel wolle
sie holen, oder es seien Räuber in die Kammer
gebrochen; sie sprangen schreiend auf, Jobst stellte
sich auf seinen Stein, Fridolin eiligst auf seinen
und Dietrich auf denjenigen, unter welchem sich
bereits auch seine kleine Ersparniß angesetzt hatte,
und indem sie so in einem Dreieck standen, zit¬

Beredtſamkeit befliſſen, ſprachen ſie, wenn ſie
zuſammen bei der Arbeit oder in ihrer Schlaf¬
kammer ſaßen, kaum ein Wort mit einander
und legten ſich ſeufzend in ihr gemeinſchaft¬
liches Bett, noch immer ſo ſtill und verträglich
wie drei Bleiſtifte. Ein und derſelbe Traum
ſchwebte allnächtlich über dem Kleblatt, bis er
einſt ſo lebendig wurde, daß Jobſt an der Wand
ſich herumwarf und den Dietrich anſtieß; Die¬
trich fuhr zurück und ſtieß den Fridolin, und nun
brach in den ſchlummertrunkenen Geſellen ein
wilder Groll aus und in dem Bette der ſchreck¬
barſte Kampf, indem ſie während drei Minuten
ſich ſo heftig mit den Füßen ſtießen, traten und
ausſchlugen, daß alle ſechs Beine ſich in einan¬
der verwickelten und der ganze Knäuel unter
furchtbarem Geſchrei aus dem Bette purzelte.
Sie glaubten, völlig erwachend, der Teufel wolle
ſie holen, oder es ſeien Räuber in die Kammer
gebrochen; ſie ſprangen ſchreiend auf, Jobſt ſtellte
ſich auf ſeinen Stein, Fridolin eiligſt auf ſeinen
und Dietrich auf denjenigen, unter welchem ſich
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[400/0412] Beredtſamkeit befliſſen, ſprachen ſie, wenn ſie zuſammen bei der Arbeit oder in ihrer Schlaf¬ kammer ſaßen, kaum ein Wort mit einander und legten ſich ſeufzend in ihr gemeinſchaft¬ liches Bett, noch immer ſo ſtill und verträglich wie drei Bleiſtifte. Ein und derſelbe Traum ſchwebte allnächtlich über dem Kleblatt, bis er einſt ſo lebendig wurde, daß Jobſt an der Wand ſich herumwarf und den Dietrich anſtieß; Die¬ trich fuhr zurück und ſtieß den Fridolin, und nun brach in den ſchlummertrunkenen Geſellen ein wilder Groll aus und in dem Bette der ſchreck¬ barſte Kampf, indem ſie während drei Minuten ſich ſo heftig mit den Füßen ſtießen, traten und ausſchlugen, daß alle ſechs Beine ſich in einan¬ der verwickelten und der ganze Knäuel unter furchtbarem Geſchrei aus dem Bette purzelte. Sie glaubten, völlig erwachend, der Teufel wolle ſie holen, oder es ſeien Räuber in die Kammer gebrochen; ſie ſprangen ſchreiend auf, Jobſt ſtellte ſich auf ſeinen Stein, Fridolin eiligſt auf ſeinen und Dietrich auf denjenigen, unter welchem ſich bereits auch ſeine kleine Erſparniß angeſetzt hatte, und indem ſie ſo in einem Dreieck ſtanden, zit¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 400. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/412>, abgerufen am 29.11.2024.