Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

halb es eine neue Geistesübung für sie ward,
diese drei mit der größten Klugheit und Unpar¬
teilichkeit zu behandeln und im Zaume zu halten
und sie so lange mit wunderbaren Reden zur
Entsagung und Uneigennützigkeit aufzumuntern,
bis der Himmel über das Unabänderliche etwas
entschiede. Denn da Jeder von ihnen ihr ins¬
besondere sein Geheimniß und seinen Plan ver¬
traut hatte, so entschloß sie sich auf der Stelle,
denjenigen zu beglücken, welcher sein Ziel er¬
reiche und Inhaber des Geschäftes würde. Den
Schwaben, welcher es nur durch sie werden
konnte, schloß sie aber davon aus und nahm
sich vor, diesen jedenfalls nicht zu heirathen;
weil er aber der jüngste, klügste und liebens¬
würdigste der Gesellen war, so gab sie ihm durch
manche stille Zeichen noch am ehesten einige Hoff¬
nung und spornte durch die Freundlichkeit, mit
welcher sie ihn besonders zu beaufsichtigen und
zu regieren schien, die anderen zu größerem Eifer
an, so daß dieser arme Columbus, der das
schöne Land erfunden hatte, vollständig der Narr
im Spiele ward. Alle drei wetteiferten mit ein¬
ander in der Ergebenheit, Bescheidenheit und

halb es eine neue Geiſtesübung für ſie ward,
dieſe drei mit der größten Klugheit und Unpar¬
teilichkeit zu behandeln und im Zaume zu halten
und ſie ſo lange mit wunderbaren Reden zur
Entſagung und Uneigennützigkeit aufzumuntern,
bis der Himmel über das Unabänderliche etwas
entſchiede. Denn da Jeder von ihnen ihr ins¬
beſondere ſein Geheimniß und ſeinen Plan ver¬
traut hatte, ſo entſchloß ſie ſich auf der Stelle,
denjenigen zu beglücken, welcher ſein Ziel er¬
reiche und Inhaber des Geſchäftes würde. Den
Schwaben, welcher es nur durch ſie werden
konnte, ſchloß ſie aber davon aus und nahm
ſich vor, dieſen jedenfalls nicht zu heirathen;
weil er aber der jüngſte, klügſte und liebens¬
würdigſte der Geſellen war, ſo gab ſie ihm durch
manche ſtille Zeichen noch am eheſten einige Hoff¬
nung und ſpornte durch die Freundlichkeit, mit
welcher ſie ihn beſonders zu beaufſichtigen und
zu regieren ſchien, die anderen zu größerem Eifer
an, ſo daß dieſer arme Columbus, der das
ſchöne Land erfunden hatte, vollſtändig der Narr
im Spiele ward. Alle drei wetteiferten mit ein¬
ander in der Ergebenheit, Beſcheidenheit und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0410" n="398"/>
halb es eine neue Gei&#x017F;tesübung für &#x017F;ie ward,<lb/>
die&#x017F;e drei mit der größten Klugheit und Unpar¬<lb/>
teilichkeit zu behandeln und im Zaume zu halten<lb/>
und &#x017F;ie &#x017F;o lange mit wunderbaren Reden zur<lb/>
Ent&#x017F;agung und Uneigennützigkeit aufzumuntern,<lb/>
bis der Himmel über das Unabänderliche etwas<lb/>
ent&#x017F;chiede. Denn da Jeder von ihnen ihr ins¬<lb/>
be&#x017F;ondere &#x017F;ein Geheimniß und &#x017F;einen Plan ver¬<lb/>
traut hatte, &#x017F;o ent&#x017F;chloß &#x017F;ie &#x017F;ich auf der Stelle,<lb/>
denjenigen zu beglücken, welcher &#x017F;ein Ziel er¬<lb/>
reiche und Inhaber des Ge&#x017F;chäftes würde. Den<lb/>
Schwaben, welcher es nur durch &#x017F;ie werden<lb/>
konnte, &#x017F;chloß &#x017F;ie aber davon aus und nahm<lb/>
&#x017F;ich vor, die&#x017F;en jedenfalls nicht zu heirathen;<lb/>
weil er aber der jüng&#x017F;te, klüg&#x017F;te und liebens¬<lb/>
würdig&#x017F;te der Ge&#x017F;ellen war, &#x017F;o gab &#x017F;ie ihm durch<lb/>
manche &#x017F;tille Zeichen noch am ehe&#x017F;ten einige Hoff¬<lb/>
nung und &#x017F;pornte durch die Freundlichkeit, mit<lb/>
welcher &#x017F;ie ihn be&#x017F;onders zu beauf&#x017F;ichtigen und<lb/>
zu regieren &#x017F;chien, die anderen zu größerem Eifer<lb/>
an, &#x017F;o daß die&#x017F;er arme Columbus, der das<lb/>
&#x017F;chöne Land erfunden hatte, voll&#x017F;tändig der Narr<lb/>
im Spiele ward. Alle drei wetteiferten mit ein¬<lb/>
ander in der Ergebenheit, Be&#x017F;cheidenheit und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[398/0410] halb es eine neue Geiſtesübung für ſie ward, dieſe drei mit der größten Klugheit und Unpar¬ teilichkeit zu behandeln und im Zaume zu halten und ſie ſo lange mit wunderbaren Reden zur Entſagung und Uneigennützigkeit aufzumuntern, bis der Himmel über das Unabänderliche etwas entſchiede. Denn da Jeder von ihnen ihr ins¬ beſondere ſein Geheimniß und ſeinen Plan ver¬ traut hatte, ſo entſchloß ſie ſich auf der Stelle, denjenigen zu beglücken, welcher ſein Ziel er¬ reiche und Inhaber des Geſchäftes würde. Den Schwaben, welcher es nur durch ſie werden konnte, ſchloß ſie aber davon aus und nahm ſich vor, dieſen jedenfalls nicht zu heirathen; weil er aber der jüngſte, klügſte und liebens¬ würdigſte der Geſellen war, ſo gab ſie ihm durch manche ſtille Zeichen noch am eheſten einige Hoff¬ nung und ſpornte durch die Freundlichkeit, mit welcher ſie ihn beſonders zu beaufſichtigen und zu regieren ſchien, die anderen zu größerem Eifer an, ſo daß dieſer arme Columbus, der das ſchöne Land erfunden hatte, vollſtändig der Narr im Spiele ward. Alle drei wetteiferten mit ein¬ ander in der Ergebenheit, Beſcheidenheit und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/410
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/410>, abgerufen am 29.11.2024.