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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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Allein nicht nur das zahlreiche Gesinde der Lügnerin,
sondern auch mehrere Nachbarn und Vorübergehende,
welche den Abt voll Scham und Verwirrung aus
jenem Hause hatten entfliehen sehen und ihn schlecht¬
weg für schuldig hielten, bezeugten jetzt nacheinander
und zumal mit lauter Stimme die begangene Unthat,
so daß die armen Mönche zehnmal überstimmt und
überschrieen wurden.

Sie sahen daher voll Zweifel auf ihren Abt, und
seine Jugendlichkeit kam den Graubärten unter ihnen
jetzt auf einmal auch verdächtig vor. Sie riefen,
wenn er schuldig sei, so würde Gottes Strafgericht
nicht ausbleiben, wie sie ihn auch dem weltlichen Rich¬
ter jetzt schon Preis gäben!

Aller Blicke waren nun auf Eugenia gerichtet,
welche inmitten der Versammlung verlassen dastand.
Sie hatte weinend in ihrer Zelle gelegen, als sie mit
den Mönchen ergriffen worden, und stand die ganze
Zeit über mit gesenkten Augen und die Mönchskappe
tief über das Haupt gezogen, da und befand sich nun
in der allerschlimmsten Lage; denn wenn sie das Ge¬
heimniß ihrer Herkunft und ihres Geschlechtes be¬
wahrte, so unterlag sie dem falschen Zeugniß, und
offenbarte sie dasselbe, so erhob sich der Sturm gegen
das Kloster heftiger als vorher und sie weihte das¬
selbe dem Untergange, indem ein Kloster, das ein

Allein nicht nur das zahlreiche Geſinde der Lügnerin,
ſondern auch mehrere Nachbarn und Vorübergehende,
welche den Abt voll Scham und Verwirrung aus
jenem Hauſe hatten entfliehen ſehen und ihn ſchlecht¬
weg für ſchuldig hielten, bezeugten jetzt nacheinander
und zumal mit lauter Stimme die begangene Unthat,
ſo daß die armen Mönche zehnmal überſtimmt und
überſchrieen wurden.

Sie ſahen daher voll Zweifel auf ihren Abt, und
ſeine Jugendlichkeit kam den Graubärten unter ihnen
jetzt auf einmal auch verdächtig vor. Sie riefen,
wenn er ſchuldig ſei, ſo würde Gottes Strafgericht
nicht ausbleiben, wie ſie ihn auch dem weltlichen Rich¬
ter jetzt ſchon Preis gäben!

Aller Blicke waren nun auf Eugenia gerichtet,
welche inmitten der Verſammlung verlaſſen daſtand.
Sie hatte weinend in ihrer Zelle gelegen, als ſie mit
den Mönchen ergriffen worden, und ſtand die ganze
Zeit über mit geſenkten Augen und die Mönchskappe
tief über das Haupt gezogen, da und befand ſich nun
in der allerſchlimmſten Lage; denn wenn ſie das Ge¬
heimniß ihrer Herkunft und ihres Geſchlechtes be¬
wahrte, ſo unterlag ſie dem falſchen Zeugniß, und
offenbarte ſie daſſelbe, ſo erhob ſich der Sturm gegen
das Kloſter heftiger als vorher und ſie weihte das¬
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[20/0034] Allein nicht nur das zahlreiche Geſinde der Lügnerin, ſondern auch mehrere Nachbarn und Vorübergehende, welche den Abt voll Scham und Verwirrung aus jenem Hauſe hatten entfliehen ſehen und ihn ſchlecht¬ weg für ſchuldig hielten, bezeugten jetzt nacheinander und zumal mit lauter Stimme die begangene Unthat, ſo daß die armen Mönche zehnmal überſtimmt und überſchrieen wurden. Sie ſahen daher voll Zweifel auf ihren Abt, und ſeine Jugendlichkeit kam den Graubärten unter ihnen jetzt auf einmal auch verdächtig vor. Sie riefen, wenn er ſchuldig ſei, ſo würde Gottes Strafgericht nicht ausbleiben, wie ſie ihn auch dem weltlichen Rich¬ ter jetzt ſchon Preis gäben! Aller Blicke waren nun auf Eugenia gerichtet, welche inmitten der Verſammlung verlaſſen daſtand. Sie hatte weinend in ihrer Zelle gelegen, als ſie mit den Mönchen ergriffen worden, und ſtand die ganze Zeit über mit geſenkten Augen und die Mönchskappe tief über das Haupt gezogen, da und befand ſich nun in der allerſchlimmſten Lage; denn wenn ſie das Ge¬ heimniß ihrer Herkunft und ihres Geſchlechtes be¬ wahrte, ſo unterlag ſie dem falſchen Zeugniß, und offenbarte ſie daſſelbe, ſo erhob ſich der Sturm gegen das Kloſter heftiger als vorher und ſie weihte das¬ ſelbe dem Untergange, indem ein Kloſter, das ein

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/34>, abgerufen am 24.11.2024.