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Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

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vielleicht auch, wenn ich einen guten Prediger finde,
etwa später in ein Kloster gehen und Buße thun!"

"Gut so, immer besser!" rief er, "das ist ja ein
ordentlicher Kriegsplan und gar nicht übel errathen!
Denn was den Prediger betrifft, so ist er schon da,
er steht vor dir, du schwarzäugiges Höllenbrätchen!
Und das Kloster ist dir auch schon hergerichtet wie
eine Mausfalle, nur daß man ungesündigt hinein
spaziert, verstanden? Ungesündigt bis auf den sau¬
beren Vorsatz, der indessen einen erklecklichen Reueknochen
für dein ganzes Leben abgeben und nützlich sein mag;
denn sonst wärst du kleine Hexe auch gar zu possier¬
lich und scherzhaft für eine rechte Nonne! Aber nun,"
fuhr er mit ernster Stimme fort, "herunter vorerst
mit den Rosen vom Kopf und dann aufmerksam zu¬
gehört !"

"Nein," sagte Jole etwas kecker, "erst will ich zu¬
hören und dann sehen, ob ich die Rosen herunter
nehme. Nachdem ich einmal mein weibliches Gefühl
überwunden, genügen Worte nicht mehr mich abzu¬
halten, eh' ich die Sünde kenne, und ohne Sünde
werde ich keine Reue kennen, dieß gebe ich dir zu
bedenken, ehe du dich bemühst! Aber immerhin will
ich dich anhören!"

Jetzt begann Vitalis seine schönste Predigt, die er
je gehalten. Das Mädchen hörte ihm anmuthig und

vielleicht auch, wenn ich einen guten Prediger finde,
etwa ſpäter in ein Kloſter gehen und Buße thun!“

„Gut ſo, immer beſſer!“ rief er, „das iſt ja ein
ordentlicher Kriegsplan und gar nicht übel errathen!
Denn was den Prediger betrifft, ſo iſt er ſchon da,
er ſteht vor dir, du ſchwarzäugiges Höllenbrätchen!
Und das Kloſter iſt dir auch ſchon hergerichtet wie
eine Mausfalle, nur daß man ungeſündigt hinein
ſpaziert, verſtanden? Ungeſündigt bis auf den ſau¬
beren Vorſatz, der indeſſen einen erklecklichen Reueknochen
für dein ganzes Leben abgeben und nützlich ſein mag;
denn ſonſt wärſt du kleine Hexe auch gar zu poſſier¬
lich und ſcherzhaft für eine rechte Nonne! Aber nun,“
fuhr er mit ernſter Stimme fort, „herunter vorerſt
mit den Roſen vom Kopf und dann aufmerkſam zu¬
gehört !“

„Nein,“ ſagte Jole etwas kecker, „erſt will ich zu¬
hören und dann ſehen, ob ich die Roſen herunter
nehme. Nachdem ich einmal mein weibliches Gefühl
überwunden, genügen Worte nicht mehr mich abzu¬
halten, eh' ich die Sünde kenne, und ohne Sünde
werde ich keine Reue kennen, dieß gebe ich dir zu
bedenken, ehe du dich bemühſt! Aber immerhin will
ich dich anhören!“

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[104/0118] vielleicht auch, wenn ich einen guten Prediger finde, etwa ſpäter in ein Kloſter gehen und Buße thun!“ „Gut ſo, immer beſſer!“ rief er, „das iſt ja ein ordentlicher Kriegsplan und gar nicht übel errathen! Denn was den Prediger betrifft, ſo iſt er ſchon da, er ſteht vor dir, du ſchwarzäugiges Höllenbrätchen! Und das Kloſter iſt dir auch ſchon hergerichtet wie eine Mausfalle, nur daß man ungeſündigt hinein ſpaziert, verſtanden? Ungeſündigt bis auf den ſau¬ beren Vorſatz, der indeſſen einen erklecklichen Reueknochen für dein ganzes Leben abgeben und nützlich ſein mag; denn ſonſt wärſt du kleine Hexe auch gar zu poſſier¬ lich und ſcherzhaft für eine rechte Nonne! Aber nun,“ fuhr er mit ernſter Stimme fort, „herunter vorerſt mit den Roſen vom Kopf und dann aufmerkſam zu¬ gehört !“ „Nein,“ ſagte Jole etwas kecker, „erſt will ich zu¬ hören und dann ſehen, ob ich die Roſen herunter nehme. Nachdem ich einmal mein weibliches Gefühl überwunden, genügen Worte nicht mehr mich abzu¬ halten, eh' ich die Sünde kenne, und ohne Sünde werde ich keine Reue kennen, dieß gebe ich dir zu bedenken, ehe du dich bemühſt! Aber immerhin will ich dich anhören!“ Jetzt begann Vitalis ſeine ſchönſte Predigt, die er je gehalten. Das Mädchen hörte ihm anmuthig und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/118>, abgerufen am 29.11.2024.