Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

aufmerksam zu und ihr Anblick übte einen erheblichen
Einfluß auf die Wahl seiner Worte, ohne daß er
dessen inne ward, da die Schönheit und Feinheit des
zu bekehrenden Gegenstandes wie von selbst eine er¬
höhte Beredtsamkeit hervorrief. Allein da es ihr nicht
im mindesten ernst war mit dem, was sie frevelhafter
Weise vorgab, so konnte die Rede des Mönches sie auch
nicht sehr erschüttern; ein liebliches Lachen schwebte
vielmehr um ihren Mund, und als er geendigt und
sich erwartungsvoll den Schweiß von der Stirne
wischte, sagte Jole: "Ich bin nur halb gerührt von
deinen Worten und kann mich nicht entschließen, mein
Vorhaben aufzugeben; denn ich bin allzuneugierig,
wie es sich in Lust und Sünden lebe!"

Wie versteinert stand Vitalis da und wußte nicht
ein einziges Wort hervorzubringen. Es war das
erste Mal, daß ihm seine Bekehrungskunst so rund
fehlgeschlagen. Seufzend und nachsinnend ging er im
Gemach auf und nieder und besah dann wieder die
kleine Höllenkandidatin. Die Kraft des Teufels schien
sich hier auf unheimliche Weise mit der Kraft der
Unschuld zu verbinden, um ihm zu widerstehen. Aber
um so leidenschaftlicher gedachte er dennoch obzusiegen.

"Ich geh' nicht von der Stelle," rief er endlich,
"bis du bereust, und sollt' ich drei Tage und drei
Nächte hier zubringen!"

aufmerkſam zu und ihr Anblick übte einen erheblichen
Einfluß auf die Wahl ſeiner Worte, ohne daß er
deſſen inne ward, da die Schönheit und Feinheit des
zu bekehrenden Gegenſtandes wie von ſelbſt eine er¬
höhte Beredtſamkeit hervorrief. Allein da es ihr nicht
im mindeſten ernſt war mit dem, was ſie frevelhafter
Weiſe vorgab, ſo konnte die Rede des Mönches ſie auch
nicht ſehr erſchüttern; ein liebliches Lachen ſchwebte
vielmehr um ihren Mund, und als er geendigt und
ſich erwartungsvoll den Schweiß von der Stirne
wiſchte, ſagte Jole: „Ich bin nur halb gerührt von
deinen Worten und kann mich nicht entſchließen, mein
Vorhaben aufzugeben; denn ich bin allzuneugierig,
wie es ſich in Luſt und Sünden lebe!“

Wie verſteinert ſtand Vitalis da und wußte nicht
ein einziges Wort hervorzubringen. Es war das
erſte Mal, daß ihm ſeine Bekehrungskunſt ſo rund
fehlgeſchlagen. Seufzend und nachſinnend ging er im
Gemach auf und nieder und beſah dann wieder die
kleine Höllenkandidatin. Die Kraft des Teufels ſchien
ſich hier auf unheimliche Weiſe mit der Kraft der
Unſchuld zu verbinden, um ihm zu widerſtehen. Aber
um ſo leidenſchaftlicher gedachte er dennoch obzuſiegen.

„Ich geh' nicht von der Stelle,“ rief er endlich,
„bis du bereuſt, und ſollt' ich drei Tage und drei
Nächte hier zubringen!“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="105"/>
aufmerk&#x017F;am zu und ihr Anblick übte einen erheblichen<lb/>
Einfluß auf die Wahl &#x017F;einer Worte, ohne daß er<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en inne ward, da die Schönheit und Feinheit des<lb/>
zu bekehrenden Gegen&#x017F;tandes wie von &#x017F;elb&#x017F;t eine er¬<lb/>
höhte Beredt&#x017F;amkeit hervorrief. Allein da es ihr nicht<lb/>
im minde&#x017F;ten ern&#x017F;t war mit dem, was &#x017F;ie frevelhafter<lb/>
Wei&#x017F;e vorgab, &#x017F;o konnte die Rede des Mönches &#x017F;ie auch<lb/>
nicht &#x017F;ehr er&#x017F;chüttern; ein liebliches Lachen &#x017F;chwebte<lb/>
vielmehr um ihren Mund, und als er geendigt und<lb/>
&#x017F;ich erwartungsvoll den Schweiß von der Stirne<lb/>
wi&#x017F;chte, &#x017F;agte Jole: &#x201E;Ich bin nur halb gerührt von<lb/>
deinen Worten und kann mich nicht ent&#x017F;chließen, mein<lb/>
Vorhaben aufzugeben; denn ich bin allzuneugierig,<lb/>
wie es &#x017F;ich in Lu&#x017F;t und Sünden lebe!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wie ver&#x017F;teinert &#x017F;tand Vitalis da und wußte nicht<lb/>
ein einziges Wort hervorzubringen. Es war das<lb/>
er&#x017F;te Mal, daß ihm &#x017F;eine Bekehrungskun&#x017F;t &#x017F;o rund<lb/>
fehlge&#x017F;chlagen. Seufzend und nach&#x017F;innend ging er im<lb/>
Gemach auf und nieder und be&#x017F;ah dann wieder die<lb/>
kleine Höllenkandidatin. Die Kraft des Teufels &#x017F;chien<lb/>
&#x017F;ich hier auf unheimliche Wei&#x017F;e mit der Kraft der<lb/>
Un&#x017F;chuld zu verbinden, um ihm zu wider&#x017F;tehen. Aber<lb/>
um &#x017F;o leiden&#x017F;chaftlicher gedachte er dennoch obzu&#x017F;iegen.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich geh' nicht von der Stelle,&#x201C; rief er endlich,<lb/>
&#x201E;bis du bereu&#x017F;t, und &#x017F;ollt' ich drei Tage und drei<lb/>
Nächte hier zubringen!&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[105/0119] aufmerkſam zu und ihr Anblick übte einen erheblichen Einfluß auf die Wahl ſeiner Worte, ohne daß er deſſen inne ward, da die Schönheit und Feinheit des zu bekehrenden Gegenſtandes wie von ſelbſt eine er¬ höhte Beredtſamkeit hervorrief. Allein da es ihr nicht im mindeſten ernſt war mit dem, was ſie frevelhafter Weiſe vorgab, ſo konnte die Rede des Mönches ſie auch nicht ſehr erſchüttern; ein liebliches Lachen ſchwebte vielmehr um ihren Mund, und als er geendigt und ſich erwartungsvoll den Schweiß von der Stirne wiſchte, ſagte Jole: „Ich bin nur halb gerührt von deinen Worten und kann mich nicht entſchließen, mein Vorhaben aufzugeben; denn ich bin allzuneugierig, wie es ſich in Luſt und Sünden lebe!“ Wie verſteinert ſtand Vitalis da und wußte nicht ein einziges Wort hervorzubringen. Es war das erſte Mal, daß ihm ſeine Bekehrungskunſt ſo rund fehlgeſchlagen. Seufzend und nachſinnend ging er im Gemach auf und nieder und beſah dann wieder die kleine Höllenkandidatin. Die Kraft des Teufels ſchien ſich hier auf unheimliche Weiſe mit der Kraft der Unſchuld zu verbinden, um ihm zu widerſtehen. Aber um ſo leidenſchaftlicher gedachte er dennoch obzuſiegen. „Ich geh' nicht von der Stelle,“ rief er endlich, „bis du bereuſt, und ſollt' ich drei Tage und drei Nächte hier zubringen!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/119
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/119>, abgerufen am 29.03.2024.