Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872.

Bild:
<< vorherige Seite

gesehen, gefangen genommen, gebunden und in den
Kerker geführt.

Wahrhaft kummervoll schaute er nach dem Häus¬
chen zurück, in welchem er sein gutes Werk nun nicht
vollenden konnte: die Wächter glaubten, er bedaure
lediglich seinen Unstern, von einem sündhaften Vorsatz
abgelenkt zu sein, und traktirten den vermeintlich un¬
verbesserlichen Mönch mit Schlägen und Schimpfwor¬
ten, bis er im Gefängniß war.

Dort mußte er viele Tage liegen, mehrfach vor
den Richter gestellt; zwar wurde er am Ende straflos
entlassen, weil er den Mann in der Nothwehr um¬
gebracht. Doch ging er immerhin als ein Todtschläger
aus dem Handel hervor und Jedermann rief, daß
man ihm endlich das geistliche Gewand abnehmen
sollte. Der Bischof Johannes, welcher dazumal in
Alexandria vorstand, mußte aber irgend eine Ahnung
von dem wahren Sachverhalt oder sonst einen höhe¬
ren Plan gefaßt haben, da er sich weigerte, den ver¬
rufenen Mönch aus der Klerisei zu stoßen, und befahl,
denselben einstweilen noch seinen seltsamen Weg wan¬
deln zu lassen.

Dieser führte ihn ohne Aufenthalt zu der be¬
kehrten Sünderin zurück, welche sich mittlerweile aber¬
mals umgekehrt hatte und den erschrockenen und be¬
kümmerten Vitalis nicht eher herein ließ, bis er wie¬

Keller, Sieben Legenden. 7

geſehen, gefangen genommen, gebunden und in den
Kerker geführt.

Wahrhaft kummervoll ſchaute er nach dem Häus¬
chen zurück, in welchem er ſein gutes Werk nun nicht
vollenden konnte: die Wächter glaubten, er bedaure
lediglich ſeinen Unſtern, von einem ſündhaften Vorſatz
abgelenkt zu ſein, und traktirten den vermeintlich un¬
verbeſſerlichen Mönch mit Schlägen und Schimpfwor¬
ten, bis er im Gefängniß war.

Dort mußte er viele Tage liegen, mehrfach vor
den Richter geſtellt; zwar wurde er am Ende ſtraflos
entlaſſen, weil er den Mann in der Nothwehr um¬
gebracht. Doch ging er immerhin als ein Todtſchläger
aus dem Handel hervor und Jedermann rief, daß
man ihm endlich das geiſtliche Gewand abnehmen
ſollte. Der Biſchof Johannes, welcher dazumal in
Alexandria vorſtand, mußte aber irgend eine Ahnung
von dem wahren Sachverhalt oder ſonſt einen höhe¬
ren Plan gefaßt haben, da er ſich weigerte, den ver¬
rufenen Mönch aus der Kleriſei zu ſtoßen, und befahl,
denſelben einſtweilen noch ſeinen ſeltſamen Weg wan¬
deln zu laſſen.

Dieſer führte ihn ohne Aufenthalt zu der be¬
kehrten Sünderin zurück, welche ſich mittlerweile aber¬
mals umgekehrt hatte und den erſchrockenen und be¬
kümmerten Vitalis nicht eher herein ließ, bis er wie¬

Keller, Sieben Legenden. 7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0111" n="97"/>
ge&#x017F;ehen, gefangen genommen, gebunden und in den<lb/>
Kerker geführt.</p><lb/>
        <p>Wahrhaft kummervoll &#x017F;chaute er nach dem Häus¬<lb/>
chen zurück, in welchem er &#x017F;ein gutes Werk nun nicht<lb/>
vollenden konnte: die Wächter glaubten, er bedaure<lb/>
lediglich &#x017F;einen Un&#x017F;tern, von einem &#x017F;ündhaften Vor&#x017F;atz<lb/>
abgelenkt zu &#x017F;ein, und traktirten den vermeintlich un¬<lb/>
verbe&#x017F;&#x017F;erlichen Mönch mit Schlägen und Schimpfwor¬<lb/>
ten, bis er im Gefängniß war.</p><lb/>
        <p>Dort mußte er viele Tage liegen, mehrfach vor<lb/>
den Richter ge&#x017F;tellt; zwar wurde er am Ende &#x017F;traflos<lb/>
entla&#x017F;&#x017F;en, weil er den Mann in der Nothwehr um¬<lb/>
gebracht. Doch ging er immerhin als ein Todt&#x017F;chläger<lb/>
aus dem Handel hervor und Jedermann rief, daß<lb/>
man ihm endlich das gei&#x017F;tliche Gewand abnehmen<lb/>
&#x017F;ollte. Der Bi&#x017F;chof Johannes, welcher dazumal in<lb/>
Alexandria vor&#x017F;tand, mußte aber irgend eine Ahnung<lb/>
von dem wahren Sachverhalt oder &#x017F;on&#x017F;t einen höhe¬<lb/>
ren Plan gefaßt haben, da er &#x017F;ich weigerte, den ver¬<lb/>
rufenen Mönch aus der Kleri&#x017F;ei zu &#x017F;toßen, und befahl,<lb/>
den&#x017F;elben ein&#x017F;tweilen noch &#x017F;einen &#x017F;elt&#x017F;amen Weg wan¬<lb/>
deln zu la&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;er führte ihn ohne Aufenthalt zu der be¬<lb/>
kehrten Sünderin zurück, welche &#x017F;ich mittlerweile aber¬<lb/>
mals umgekehrt hatte und den er&#x017F;chrockenen und be¬<lb/>
kümmerten Vitalis nicht eher herein ließ, bis er wie¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#g">Keller</hi>, Sieben Legenden. 7<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[97/0111] geſehen, gefangen genommen, gebunden und in den Kerker geführt. Wahrhaft kummervoll ſchaute er nach dem Häus¬ chen zurück, in welchem er ſein gutes Werk nun nicht vollenden konnte: die Wächter glaubten, er bedaure lediglich ſeinen Unſtern, von einem ſündhaften Vorſatz abgelenkt zu ſein, und traktirten den vermeintlich un¬ verbeſſerlichen Mönch mit Schlägen und Schimpfwor¬ ten, bis er im Gefängniß war. Dort mußte er viele Tage liegen, mehrfach vor den Richter geſtellt; zwar wurde er am Ende ſtraflos entlaſſen, weil er den Mann in der Nothwehr um¬ gebracht. Doch ging er immerhin als ein Todtſchläger aus dem Handel hervor und Jedermann rief, daß man ihm endlich das geiſtliche Gewand abnehmen ſollte. Der Biſchof Johannes, welcher dazumal in Alexandria vorſtand, mußte aber irgend eine Ahnung von dem wahren Sachverhalt oder ſonſt einen höhe¬ ren Plan gefaßt haben, da er ſich weigerte, den ver¬ rufenen Mönch aus der Kleriſei zu ſtoßen, und befahl, denſelben einſtweilen noch ſeinen ſeltſamen Weg wan¬ deln zu laſſen. Dieſer führte ihn ohne Aufenthalt zu der be¬ kehrten Sünderin zurück, welche ſich mittlerweile aber¬ mals umgekehrt hatte und den erſchrockenen und be¬ kümmerten Vitalis nicht eher herein ließ, bis er wie¬ Keller, Sieben Legenden. 7

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/111
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Sieben Legenden. Stuttgart, 1872, S. 97. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_legenden_1872/111>, abgerufen am 16.04.2024.