Herzen heraus, daß sie gar nicht absehen und glauben könne, wie die Menschen unsterblich sein sollten. Es kommt allerdings oft vor, daß recht¬ liche Leute aus allen Ständen dies ursprüngliche schlichte Vergänglichkeitsgefühl ohne Weiteres aus der Natur schöpfen und ohne skeptischer oder kri¬ tischer Art zu sein, dasselbe unbekümmert bewah¬ ren wie eine allereinfachste handgreifliche Wahr¬ heit. Aber so lieblich und natürlich ist mir diese Erscheinung noch nie vorgekommen, wie bei die¬ sem Kinde, und ihre unschuldige gemüthliche Ueberzeugung, die so ganz in sich selbst entstand, veranlaßte mich, der ich Gott und Unsterblichkeit hatte liegen lassen, wie sie lagen, meinen philo¬ sophischen Bildungsgang noch einmal vorzuneh¬ men und zu revidiren, und als ich auf dem Wege des Denkens und der Bücher wieder da anlangte, wo das Kindsköpfchen von Hause aus gewesen, und Dortchen mir über die Schulter mit in die Bücher guckte, da war es erst merkwürdig, wie sich das bestärkte und bestätigte Gefühl in ihr gestaltete. Wer sagt, daß es keine Poesie gebe ohne den Glauben an die Unsterblichkeit, der hätte
Herzen heraus, daß ſie gar nicht abſehen und glauben koͤnne, wie die Menſchen unſterblich ſein ſollten. Es kommt allerdings oft vor, daß recht¬ liche Leute aus allen Staͤnden dies urſpruͤngliche ſchlichte Vergaͤnglichkeitsgefuͤhl ohne Weiteres aus der Natur ſchoͤpfen und ohne ſkeptiſcher oder kri¬ tiſcher Art zu ſein, daſſelbe unbekuͤmmert bewah¬ ren wie eine allereinfachſte handgreifliche Wahr¬ heit. Aber ſo lieblich und natuͤrlich iſt mir dieſe Erſcheinung noch nie vorgekommen, wie bei die¬ ſem Kinde, und ihre unſchuldige gemuͤthliche Ueberzeugung, die ſo ganz in ſich ſelbſt entſtand, veranlaßte mich, der ich Gott und Unſterblichkeit hatte liegen laſſen, wie ſie lagen, meinen philo¬ ſophiſchen Bildungsgang noch einmal vorzuneh¬ men und zu revidiren, und als ich auf dem Wege des Denkens und der Buͤcher wieder da anlangte, wo das Kindskoͤpfchen von Hauſe aus geweſen, und Dortchen mir uͤber die Schulter mit in die Buͤcher guckte, da war es erſt merkwuͤrdig, wie ſich das beſtaͤrkte und beſtaͤtigte Gefuͤhl in ihr geſtaltete. Wer ſagt, daß es keine Poeſie gebe ohne den Glauben an die Unſterblichkeit, der haͤtte
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Herzen heraus, daß ſie gar nicht abſehen und
glauben koͤnne, wie die Menſchen unſterblich ſein
ſollten. Es kommt allerdings oft vor, daß recht¬
liche Leute aus allen Staͤnden dies urſpruͤngliche
ſchlichte Vergaͤnglichkeitsgefuͤhl ohne Weiteres aus
der Natur ſchoͤpfen und ohne ſkeptiſcher oder kri¬
tiſcher Art zu ſein, daſſelbe unbekuͤmmert bewah¬
ren wie eine allereinfachſte handgreifliche Wahr¬
heit. Aber ſo lieblich und natuͤrlich iſt mir dieſe
Erſcheinung noch nie vorgekommen, wie bei die¬
ſem Kinde, und ihre unſchuldige gemuͤthliche
Ueberzeugung, die ſo ganz in ſich ſelbſt entſtand,
veranlaßte mich, der ich Gott und Unſterblichkeit
hatte liegen laſſen, wie ſie lagen, meinen philo¬
ſophiſchen Bildungsgang noch einmal vorzuneh¬
men und zu revidiren, und als ich auf dem Wege
des Denkens und der Buͤcher wieder da anlangte,
wo das Kindskoͤpfchen von Hauſe aus geweſen,
und Dortchen mir uͤber die Schulter mit in die
Buͤcher guckte, da war es erſt merkwuͤrdig, wie
ſich das beſtaͤrkte und beſtaͤtigte Gefuͤhl in ihr
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ohne den Glauben an die Unſterblichkeit, der haͤtte
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/391>, abgerufen am 24.11.2024.
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