Tischchen herbeigeholt und vor ihn hingestellt, auf welchem einiges Essen stand. "Hier steht zum Glück," rief sie, "noch fast mein ganzes Essen; ich ließ es mir hieher bringen, da ich heute allein war, und essen Sie wenigstens sogleich etwas, bis mein Papa zu Hause kommt und für Sie sorgt. Geht sogleich nach dem Hause, Küster, und holt eine Flasche Wein, sogleich, hört Ihr? Die Brigitte wird sie Euch geben! Trinken Sie lieber weißen Wein oder Rothwein, Herr Lee?"
"Rothen" sagte er.
"So sagt der Brigitte, sie solle Euch von Papas Wein geben!" rief sie dem Küster noch nach. Dann zog sie tüchtig an einer Klingel¬ schnur, worauf ein ländlich gekleidetes feines Mädchen herbeigelaufen kam, welches des Gärt¬ ners Tochter war und den essenden Heinrich neu¬ gierig betrachtete; denn dieser hatte sich sehr an¬ dächtig über ein Stück kalten Rehbratens herge¬ macht, wunderte sich jedoch bald, daß er gar nicht so viel zu essen vermochte, als er zuerst gedacht, und er legte bald die zierlichen Eßwerkzeuge hin und vermochte jetzt erst recht nicht mehr zu essen,
Tiſchchen herbeigeholt und vor ihn hingeſtellt, auf welchem einiges Eſſen ſtand. »Hier ſteht zum Gluͤck,« rief ſie, »noch faſt mein ganzes Eſſen; ich ließ es mir hieher bringen, da ich heute allein war, und eſſen Sie wenigſtens ſogleich etwas, bis mein Papa zu Hauſe kommt und fuͤr Sie ſorgt. Geht ſogleich nach dem Hauſe, Kuͤſter, und holt eine Flaſche Wein, ſogleich, hoͤrt Ihr? Die Brigitte wird ſie Euch geben! Trinken Sie lieber weißen Wein oder Rothwein, Herr Lee?«
»Rothen« ſagte er.
»So ſagt der Brigitte, ſie ſolle Euch von Papas Wein geben!« rief ſie dem Kuͤſter noch nach. Dann zog ſie tuͤchtig an einer Klingel¬ ſchnur, worauf ein laͤndlich gekleidetes feines Maͤdchen herbeigelaufen kam, welches des Gaͤrt¬ ners Tochter war und den eſſenden Heinrich neu¬ gierig betrachtete; denn dieſer hatte ſich ſehr an¬ daͤchtig uͤber ein Stuͤck kalten Rehbratens herge¬ macht, wunderte ſich jedoch bald, daß er gar nicht ſo viel zu eſſen vermochte, als er zuerſt gedacht, und er legte bald die zierlichen Eßwerkzeuge hin und vermochte jetzt erſt recht nicht mehr zu eſſen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0318"n="308"/>
Tiſchchen herbeigeholt und vor ihn hingeſtellt,<lb/>
auf welchem einiges Eſſen ſtand. »Hier ſteht zum<lb/>
Gluͤck,« rief ſie, »noch faſt mein ganzes Eſſen;<lb/>
ich ließ es mir hieher bringen, da ich heute allein<lb/>
war, und eſſen Sie wenigſtens ſogleich etwas,<lb/>
bis mein Papa zu Hauſe kommt und fuͤr Sie<lb/>ſorgt. Geht ſogleich nach dem Hauſe, Kuͤſter,<lb/>
und holt eine Flaſche Wein, ſogleich, hoͤrt Ihr?<lb/>
Die Brigitte wird ſie Euch geben! Trinken Sie<lb/>
lieber weißen Wein oder Rothwein, Herr Lee?«</p><lb/><p>»Rothen« ſagte er.</p><lb/><p>»So ſagt der Brigitte, ſie ſolle Euch von<lb/>
Papas Wein geben!« rief ſie dem Kuͤſter noch<lb/>
nach. Dann zog ſie tuͤchtig an einer Klingel¬<lb/>ſchnur, worauf ein laͤndlich gekleidetes feines<lb/>
Maͤdchen herbeigelaufen kam, welches des Gaͤrt¬<lb/>
ners Tochter war und den eſſenden Heinrich neu¬<lb/>
gierig betrachtete; denn dieſer hatte ſich ſehr an¬<lb/>
daͤchtig uͤber ein Stuͤck kalten Rehbratens herge¬<lb/>
macht, wunderte ſich jedoch bald, daß er gar nicht<lb/>ſo viel zu eſſen vermochte, als er zuerſt gedacht,<lb/>
und er legte bald die zierlichen Eßwerkzeuge hin<lb/>
und vermochte jetzt erſt recht nicht mehr zu eſſen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[308/0318]
Tiſchchen herbeigeholt und vor ihn hingeſtellt,
auf welchem einiges Eſſen ſtand. »Hier ſteht zum
Gluͤck,« rief ſie, »noch faſt mein ganzes Eſſen;
ich ließ es mir hieher bringen, da ich heute allein
war, und eſſen Sie wenigſtens ſogleich etwas,
bis mein Papa zu Hauſe kommt und fuͤr Sie
ſorgt. Geht ſogleich nach dem Hauſe, Kuͤſter,
und holt eine Flaſche Wein, ſogleich, hoͤrt Ihr?
Die Brigitte wird ſie Euch geben! Trinken Sie
lieber weißen Wein oder Rothwein, Herr Lee?«
»Rothen« ſagte er.
»So ſagt der Brigitte, ſie ſolle Euch von
Papas Wein geben!« rief ſie dem Kuͤſter noch
nach. Dann zog ſie tuͤchtig an einer Klingel¬
ſchnur, worauf ein laͤndlich gekleidetes feines
Maͤdchen herbeigelaufen kam, welches des Gaͤrt¬
ners Tochter war und den eſſenden Heinrich neu¬
gierig betrachtete; denn dieſer hatte ſich ſehr an¬
daͤchtig uͤber ein Stuͤck kalten Rehbratens herge¬
macht, wunderte ſich jedoch bald, daß er gar nicht
ſo viel zu eſſen vermochte, als er zuerſt gedacht,
und er legte bald die zierlichen Eßwerkzeuge hin
und vermochte jetzt erſt recht nicht mehr zu eſſen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/318>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.