als er bemerkte, daß es wohl diejenigen deß Fräuleins selbst waren, die man ihm im ersten Eifer vorgelegt hatte. Er fand sich in einer son¬ derbaren Lage und wünschte doch lieber wieder auf dem nächtlichen Wege zu sein, um frei und frank seinem Lande zuzuschreiten. Denn es schnürte ihm irgend eine Befangenheit das Herz zu und es war ihm, als ob er besser gethan hätte, Alles darauf ankommen zu lassen und unter Gottes freiem Himmel zu bleiben. Er nahm die kleine silberne Gabel, welche fast noch eine Kin¬ dergabel war und schon viele Jahre gebraucht schien, noch einmal in die Hand und betrachtete sie, und als er sah, daß der Name "Dorothea" höchst sauber in kleiner gothischer Schrift darauf gravirt war, legte er das Instrumentchen so schleunig wieder hin, als ob es ihn gestochen hätte, und es erwachte plötzlich ein heftiger Stolz in ihm, wenn er sich dachte, daß man nur im geringsten etwa meinen könnte, er hätte sich etwas zu gute darauf gethan, mit dem aller¬ liebsten Leibbesteck dieses schönen und vornehmen Fräuleins zu essen, und zwar so wie gestohlen,
als er bemerkte, daß es wohl diejenigen deß Fraͤuleins ſelbſt waren, die man ihm im erſten Eifer vorgelegt hatte. Er fand ſich in einer ſon¬ derbaren Lage und wuͤnſchte doch lieber wieder auf dem naͤchtlichen Wege zu ſein, um frei und frank ſeinem Lande zuzuſchreiten. Denn es ſchnuͤrte ihm irgend eine Befangenheit das Herz zu und es war ihm, als ob er beſſer gethan haͤtte, Alles darauf ankommen zu laſſen und unter Gottes freiem Himmel zu bleiben. Er nahm die kleine ſilberne Gabel, welche faſt noch eine Kin¬ dergabel war und ſchon viele Jahre gebraucht ſchien, noch einmal in die Hand und betrachtete ſie, und als er ſah, daß der Name »Dorothea« hoͤchſt ſauber in kleiner gothiſcher Schrift darauf gravirt war, legte er das Inſtrumentchen ſo ſchleunig wieder hin, als ob es ihn geſtochen haͤtte, und es erwachte ploͤtzlich ein heftiger Stolz in ihm, wenn er ſich dachte, daß man nur im geringſten etwa meinen koͤnnte, er haͤtte ſich etwas zu gute darauf gethan, mit dem aller¬ liebſten Leibbeſteck dieſes ſchoͤnen und vornehmen Fraͤuleins zu eſſen, und zwar ſo wie geſtohlen,
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als er bemerkte, daß es wohl diejenigen deß
Fraͤuleins ſelbſt waren, die man ihm im erſten
Eifer vorgelegt hatte. Er fand ſich in einer ſon¬
derbaren Lage und wuͤnſchte doch lieber wieder
auf dem naͤchtlichen Wege zu ſein, um frei und
frank ſeinem Lande zuzuſchreiten. Denn es
ſchnuͤrte ihm irgend eine Befangenheit das Herz
zu und es war ihm, als ob er beſſer gethan
haͤtte, Alles darauf ankommen zu laſſen und unter
Gottes freiem Himmel zu bleiben. Er nahm die
kleine ſilberne Gabel, welche faſt noch eine Kin¬
dergabel war und ſchon viele Jahre gebraucht
ſchien, noch einmal in die Hand und betrachtete
ſie, und als er ſah, daß der Name »Dorothea«
hoͤchſt ſauber in kleiner gothiſcher Schrift darauf
gravirt war, legte er das Inſtrumentchen ſo
ſchleunig wieder hin, als ob es ihn geſtochen
haͤtte, und es erwachte ploͤtzlich ein heftiger
Stolz in ihm, wenn er ſich dachte, daß man
nur im geringſten etwa meinen koͤnnte, er haͤtte
ſich etwas zu gute darauf gethan, mit dem aller¬
liebſten Leibbeſteck dieſes ſchoͤnen und vornehmen
Fraͤuleins zu eſſen, und zwar ſo wie geſtohlen,
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/319>, abgerufen am 28.11.2024.
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