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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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einen Hand ein elendes Bündel kurzen Reisigs
auf dem grauen Kopfe trug, dessen Haare so
rauh und struppig waren, wie das Reisig, und
mit der anderen Hand mühselig eine abgebrochene
Birkenstaude nachschleppte. Mit tausend kurzen,
zitternden Schrittchen zerrte sie emsig und keu¬
chend, viele Seufzer ausstoßend, den widerspensti¬
gen Busch über alle Hindernisse nach sich, gleich
einer Ameise, die einen zu schweren Halm nach
dem Bau schleppt. Heinrich bedachte eben mit
Scham über seine eigene Ungeduld, wie das
schwache bejahrte Weib, das vielleicht dem Lande
arbeitende und starke Söhne geboren hatte, sein
ganzes Leben nur Einen fortgesetzten Gang in
Regen und Noth ging, ohne Grund und ohne
Schuld, als ein dicker Flurschütz des Weges kam,
wohl eben so alt, wie das arme Weib, aber mit
rothem trotzigen Gesicht und einem eisgrauen
Schnurrbart und scheibenrunden thöricht rollenden
Augen. Dieser fuhr sogleich über die Frau her,
welche den Busch zitternd fahren ließ, und schrie:
Hast wieder Holz gestohlen, du Strolchin! Bei
allen Heiligen betheuerte die Alte, daß sie das

einen Hand ein elendes Buͤndel kurzen Reiſigs
auf dem grauen Kopfe trug, deſſen Haare ſo
rauh und ſtruppig waren, wie das Reiſig, und
mit der anderen Hand muͤhſelig eine abgebrochene
Birkenſtaude nachſchleppte. Mit tauſend kurzen,
zitternden Schrittchen zerrte ſie emſig und keu¬
chend, viele Seufzer ausſtoßend, den widerſpenſti¬
gen Buſch uͤber alle Hinderniſſe nach ſich, gleich
einer Ameiſe, die einen zu ſchweren Halm nach
dem Bau ſchleppt. Heinrich bedachte eben mit
Scham uͤber ſeine eigene Ungeduld, wie das
ſchwache bejahrte Weib, das vielleicht dem Lande
arbeitende und ſtarke Soͤhne geboren hatte, ſein
ganzes Leben nur Einen fortgeſetzten Gang in
Regen und Noth ging, ohne Grund und ohne
Schuld, als ein dicker Flurſchuͤtz des Weges kam,
wohl eben ſo alt, wie das arme Weib, aber mit
rothem trotzigen Geſicht und einem eisgrauen
Schnurrbart und ſcheibenrunden thoͤricht rollenden
Augen. Dieſer fuhr ſogleich uͤber die Frau her,
welche den Buſch zitternd fahren ließ, und ſchrie:
Haſt wieder Holz geſtohlen, du Strolchin! Bei
allen Heiligen betheuerte die Alte, daß ſie das

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[279/0289] einen Hand ein elendes Buͤndel kurzen Reiſigs auf dem grauen Kopfe trug, deſſen Haare ſo rauh und ſtruppig waren, wie das Reiſig, und mit der anderen Hand muͤhſelig eine abgebrochene Birkenſtaude nachſchleppte. Mit tauſend kurzen, zitternden Schrittchen zerrte ſie emſig und keu¬ chend, viele Seufzer ausſtoßend, den widerſpenſti¬ gen Buſch uͤber alle Hinderniſſe nach ſich, gleich einer Ameiſe, die einen zu ſchweren Halm nach dem Bau ſchleppt. Heinrich bedachte eben mit Scham uͤber ſeine eigene Ungeduld, wie das ſchwache bejahrte Weib, das vielleicht dem Lande arbeitende und ſtarke Soͤhne geboren hatte, ſein ganzes Leben nur Einen fortgeſetzten Gang in Regen und Noth ging, ohne Grund und ohne Schuld, als ein dicker Flurſchuͤtz des Weges kam, wohl eben ſo alt, wie das arme Weib, aber mit rothem trotzigen Geſicht und einem eisgrauen Schnurrbart und ſcheibenrunden thoͤricht rollenden Augen. Dieſer fuhr ſogleich uͤber die Frau her, welche den Buſch zitternd fahren ließ, und ſchrie: Haſt wieder Holz geſtohlen, du Strolchin! Bei allen Heiligen betheuerte die Alte, daß ſie das

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 279. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/289>, abgerufen am 22.11.2024.