Brust. Jetzt ist mir beinahe, als wäre dies Seh¬ nen gestillt, auch weiß ich gar wohl, daß derlei ka¬ tholische Dinge von aufgeklärten oder auch nur un¬ befangenen Leuten nicht mehr geglaubt werden; aber warum wollen wir die selige Menschgöttin unserer Jugendzeit, die uns Unschuld und Anmuth bedeutet, so ohne Weiteres absetzen? Ist es uns nicht lieblicher und vertrauter, die Altbekannte, Schöne ferner über unseren Fluren zu ahnen und sie mit dem armen Volke in den geschmückten Tempeln zu verehren, in denen wir so wohl zu Hause sind, als uns den Kopf zu zerbrechen und für das, was uns beglückt, gelehrte heidnische Namen oder gar nur tönende Worte zu gebrau¬ chen? Wenn ich erst einmal anfinge, mich in solche Dinge einzulassen, so hätte ich nicht mehr Zeit, mein Silber zu treiben; denn mein Kopf ist nicht zu leichten Uebergängen eingerichtet und muß Alles gründlich einüben. Also schlage ich vor, daß wir uns diese Sache nicht unnöthig schwer machen, vielmehr dieselbe, so zu sagen, der heiligen Jungfrau selbst überlassen! Was jenen unglücklichen Verräther betrifft, so wage ich zu
Bruſt. Jetzt iſt mir beinahe, als waͤre dies Seh¬ nen geſtillt, auch weiß ich gar wohl, daß derlei ka¬ tholiſche Dinge von aufgeklaͤrten oder auch nur un¬ befangenen Leuten nicht mehr geglaubt werden; aber warum wollen wir die ſelige Menſchgoͤttin unſerer Jugendzeit, die uns Unſchuld und Anmuth bedeutet, ſo ohne Weiteres abſetzen? Iſt es uns nicht lieblicher und vertrauter, die Altbekannte, Schoͤne ferner uͤber unſeren Fluren zu ahnen und ſie mit dem armen Volke in den geſchmuͤckten Tempeln zu verehren, in denen wir ſo wohl zu Hauſe ſind, als uns den Kopf zu zerbrechen und fuͤr das, was uns begluͤckt, gelehrte heidniſche Namen oder gar nur toͤnende Worte zu gebrau¬ chen? Wenn ich erſt einmal anfinge, mich in ſolche Dinge einzulaſſen, ſo haͤtte ich nicht mehr Zeit, mein Silber zu treiben; denn mein Kopf iſt nicht zu leichten Uebergaͤngen eingerichtet und muß Alles gruͤndlich einuͤben. Alſo ſchlage ich vor, daß wir uns dieſe Sache nicht unnoͤthig ſchwer machen, vielmehr dieſelbe, ſo zu ſagen, der heiligen Jungfrau ſelbſt uͤberlaſſen! Was jenen ungluͤcklichen Verraͤther betrifft, ſo wage ich zu
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Bruſt. Jetzt iſt mir beinahe, als waͤre dies Seh¬
nen geſtillt, auch weiß ich gar wohl, daß derlei ka¬
tholiſche Dinge von aufgeklaͤrten oder auch nur un¬
befangenen Leuten nicht mehr geglaubt werden;
aber warum wollen wir die ſelige Menſchgoͤttin
unſerer Jugendzeit, die uns Unſchuld und Anmuth
bedeutet, ſo ohne Weiteres abſetzen? Iſt es uns
nicht lieblicher und vertrauter, die Altbekannte,
Schoͤne ferner uͤber unſeren Fluren zu ahnen und
ſie mit dem armen Volke in den geſchmuͤckten
Tempeln zu verehren, in denen wir ſo wohl zu
Hauſe ſind, als uns den Kopf zu zerbrechen und
fuͤr das, was uns begluͤckt, gelehrte heidniſche
Namen oder gar nur toͤnende Worte zu gebrau¬
chen? Wenn ich erſt einmal anfinge, mich in
ſolche Dinge einzulaſſen, ſo haͤtte ich nicht mehr
Zeit, mein Silber zu treiben; denn mein Kopf iſt
nicht zu leichten Uebergaͤngen eingerichtet und
muß Alles gruͤndlich einuͤben. Alſo ſchlage ich
vor, daß wir uns dieſe Sache nicht unnoͤthig
ſchwer machen, vielmehr dieſelbe, ſo zu ſagen, der
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/26>, abgerufen am 26.11.2024.
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