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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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"Ich hätte allerdings nicht vermuthet, daß
meine ehrwürdige, von frommen Meistern gesetzte
Musik ein Licht dieser Art in einem jugendlichen
Frauenhaupte aufstecken und eine solche anmuthige
Beredtsamkeit erzeugen würde! Doch die Wege
des Herrn sind wunderbar! möchte ich fast sagen,
wenn nur dieses Sprichwort hier besser ange¬
wendet wäre!

"Ich bin in dem andächtigen Glauben an
Gott und seine Heiligen erzogen, und insbeson¬
dere das Bild der Maria hat mich von Kindheit
auf in seiner Milde und Schönheit angelacht.
Ihr Cultus hat mich zur Kunst begeistert und
mir Brot gegeben, als ich arm, verlassen und
unwissend war; sie war mir Mütterchen, Geliebte,
göttliche Fürbitterin, Muse in Bild und Tönen,
und überdies belebte sie wie eine allgegenwärtige
Göttin die Fluren meiner schönen Heimath. Aus
der Bläue des Himmels, auf goldenen Wolken, im
Glänzen des Gewässers, im leuchtenden Grün der
Wälder, auf den Blumensternen, auf den rothen Ro¬
sen lächelte mir die unsichtbare Himmelsfrau sichtbar
entgegen und weckte ein süßes Sehnen in meiner

»Ich haͤtte allerdings nicht vermuthet, daß
meine ehrwuͤrdige, von frommen Meiſtern geſetzte
Muſik ein Licht dieſer Art in einem jugendlichen
Frauenhaupte aufſtecken und eine ſolche anmuthige
Beredtſamkeit erzeugen wuͤrde! Doch die Wege
des Herrn ſind wunderbar! moͤchte ich faſt ſagen,
wenn nur dieſes Sprichwort hier beſſer ange¬
wendet waͤre!

»Ich bin in dem andaͤchtigen Glauben an
Gott und ſeine Heiligen erzogen, und insbeſon¬
dere das Bild der Maria hat mich von Kindheit
auf in ſeiner Milde und Schoͤnheit angelacht.
Ihr Cultus hat mich zur Kunſt begeiſtert und
mir Brot gegeben, als ich arm, verlaſſen und
unwiſſend war; ſie war mir Muͤtterchen, Geliebte,
goͤttliche Fuͤrbitterin, Muſe in Bild und Toͤnen,
und uͤberdies belebte ſie wie eine allgegenwaͤrtige
Goͤttin die Fluren meiner ſchoͤnen Heimath. Aus
der Blaͤue des Himmels, auf goldenen Wolken, im
Glaͤnzen des Gewaͤſſers, im leuchtenden Gruͤn der
Waͤlder, auf den Blumenſternen, auf den rothen Ro¬
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entgegen und weckte ein ſuͤßes Sehnen in meiner

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[15/0025] »Ich haͤtte allerdings nicht vermuthet, daß meine ehrwuͤrdige, von frommen Meiſtern geſetzte Muſik ein Licht dieſer Art in einem jugendlichen Frauenhaupte aufſtecken und eine ſolche anmuthige Beredtſamkeit erzeugen wuͤrde! Doch die Wege des Herrn ſind wunderbar! moͤchte ich faſt ſagen, wenn nur dieſes Sprichwort hier beſſer ange¬ wendet waͤre! »Ich bin in dem andaͤchtigen Glauben an Gott und ſeine Heiligen erzogen, und insbeſon¬ dere das Bild der Maria hat mich von Kindheit auf in ſeiner Milde und Schoͤnheit angelacht. Ihr Cultus hat mich zur Kunſt begeiſtert und mir Brot gegeben, als ich arm, verlaſſen und unwiſſend war; ſie war mir Muͤtterchen, Geliebte, goͤttliche Fuͤrbitterin, Muſe in Bild und Toͤnen, und uͤberdies belebte ſie wie eine allgegenwaͤrtige Goͤttin die Fluren meiner ſchoͤnen Heimath. Aus der Blaͤue des Himmels, auf goldenen Wolken, im Glaͤnzen des Gewaͤſſers, im leuchtenden Gruͤn der Waͤlder, auf den Blumenſternen, auf den rothen Ro¬ ſen laͤchelte mir die unſichtbare Himmelsfrau ſichtbar entgegen und weckte ein ſuͤßes Sehnen in meiner

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/25>, abgerufen am 25.11.2024.