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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Stillen über mein Vertrauen zur Jungfrau lä¬
chelte. Ich war darüber bekümmert und gedachte
in meiner Kindheit, ihn noch gut katholisch zu
machen. Jetzt, wo seine Entfernung und sein
selbstsüchtiger Verrath mir seine Grundsätze dop¬
pelt verdächtig und verhaßt machen sollten, fühle
ich mich seltsamer Weise zu denselben hingezogen,
ja ich wünsche zuweilen, wie wenn ich nach sei¬
nem Beifall lüstern wäre, daß er es wissen möchte!

"Zürne nicht hierüber, liebster frommer Got¬
tesmacher! Ich will Dir kein Aergerniß geben,
sondern Dein gehorsames und treues Haus- und
Bergfräulein sein! Ich will fromm Deiner Trau¬
ben pflegen und Dir jeden Becher credenzen, den
Du trinkest!"

Die Zuhörer waren höchlich verwundert über
diese Reden; die Mutter bekreuzte sich dreimal,
indem sie sowohl über Agnesens Beredtsamkeit,
als über den Inhalt ihrer Worte sich entsetzte,
und sie wollte ein lautes Lamentiren beginnen.
Aber sie wurde wieder unterbrochen durch den
Gottesmacher, welcher, nachdem er sich von sei¬
nem Erstaunen erholt, erwiederte:

Stillen uͤber mein Vertrauen zur Jungfrau laͤ¬
chelte. Ich war daruͤber bekuͤmmert und gedachte
in meiner Kindheit, ihn noch gut katholiſch zu
machen. Jetzt, wo ſeine Entfernung und ſein
ſelbſtſuͤchtiger Verrath mir ſeine Grundſaͤtze dop¬
pelt verdaͤchtig und verhaßt machen ſollten, fuͤhle
ich mich ſeltſamer Weiſe zu denſelben hingezogen,
ja ich wuͤnſche zuweilen, wie wenn ich nach ſei¬
nem Beifall luͤſtern waͤre, daß er es wiſſen moͤchte!

»Zuͤrne nicht hieruͤber, liebſter frommer Got¬
tesmacher! Ich will Dir kein Aergerniß geben,
ſondern Dein gehorſames und treues Haus- und
Bergfraͤulein ſein! Ich will fromm Deiner Trau¬
ben pflegen und Dir jeden Becher credenzen, den
Du trinkeſt!«

Die Zuhoͤrer waren hoͤchlich verwundert uͤber
dieſe Reden; die Mutter bekreuzte ſich dreimal,
indem ſie ſowohl uͤber Agneſens Beredtſamkeit,
als uͤber den Inhalt ihrer Worte ſich entſetzte,
und ſie wollte ein lautes Lamentiren beginnen.
Aber ſie wurde wieder unterbrochen durch den
Gottesmacher, welcher, nachdem er ſich von ſei¬
nem Erſtaunen erholt, erwiederte:

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[14/0024] Stillen uͤber mein Vertrauen zur Jungfrau laͤ¬ chelte. Ich war daruͤber bekuͤmmert und gedachte in meiner Kindheit, ihn noch gut katholiſch zu machen. Jetzt, wo ſeine Entfernung und ſein ſelbſtſuͤchtiger Verrath mir ſeine Grundſaͤtze dop¬ pelt verdaͤchtig und verhaßt machen ſollten, fuͤhle ich mich ſeltſamer Weiſe zu denſelben hingezogen, ja ich wuͤnſche zuweilen, wie wenn ich nach ſei¬ nem Beifall luͤſtern waͤre, daß er es wiſſen moͤchte! »Zuͤrne nicht hieruͤber, liebſter frommer Got¬ tesmacher! Ich will Dir kein Aergerniß geben, ſondern Dein gehorſames und treues Haus- und Bergfraͤulein ſein! Ich will fromm Deiner Trau¬ ben pflegen und Dir jeden Becher credenzen, den Du trinkeſt!« Die Zuhoͤrer waren hoͤchlich verwundert uͤber dieſe Reden; die Mutter bekreuzte ſich dreimal, indem ſie ſowohl uͤber Agneſens Beredtſamkeit, als uͤber den Inhalt ihrer Worte ſich entſetzte, und ſie wollte ein lautes Lamentiren beginnen. Aber ſie wurde wieder unterbrochen durch den Gottesmacher, welcher, nachdem er ſich von ſei¬ nem Erſtaunen erholt, erwiederte:

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/24>, abgerufen am 25.11.2024.