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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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und doch so erfahrener Lehrer, verkündet, sah er
nun im Traume bald die Stadt, bald das schöne
Dorf auf wunderbare Weise verklärt und ver¬
ändert, ohne je hinein gelangen zu können, oder
wenn er dort war, mit einem plötzlichen traurigen
Ausgang und Erwachen. Er durchreiste die
schönsten Gegenden seines Vaterlandes, welche er
in der Wirklichkeit niegesehen, sah die Gebirge,
Thäler und Ströme mit wohlbekannten und doch
ganz unerhörten Namen, die wie Musik klangen
und doch etwas kindisch Komisches an sich hatten,
wie es nur der Traum gebären kann; er näherte
sich allmälig der Stadt, worin das Vaterhaus
lag, auf wunderbaren Wegen, am Rande breiter
Ströme, auf denen jede Welle einen schwimmen¬
den Rosenstock trug, so daß unter dem dahin¬
ziehenden Rosenwalde das Wasser kaum hindurch
funkelte. Ein Landmann pflügte mit einem gol¬
denen Pfluge am Ufer mit milchweißen Ochsen,
unter deren Tritten große Kornblumen aufspro߬
ten; die Furche füllte sich mit goldenen Körnern,
welche der Bauer, indem er mit der einen Hand
den Pflug lenkte, mit der anderen aufschöpfte

und doch ſo erfahrener Lehrer, verkuͤndet, ſah er
nun im Traume bald die Stadt, bald das ſchoͤne
Dorf auf wunderbare Weiſe verklaͤrt und ver¬
aͤndert, ohne je hinein gelangen zu koͤnnen, oder
wenn er dort war, mit einem ploͤtzlichen traurigen
Ausgang und Erwachen. Er durchreiſte die
ſchoͤnſten Gegenden ſeines Vaterlandes, welche er
in der Wirklichkeit niegeſehen, ſah die Gebirge,
Thaͤler und Stroͤme mit wohlbekannten und doch
ganz unerhoͤrten Namen, die wie Muſik klangen
und doch etwas kindiſch Komiſches an ſich hatten,
wie es nur der Traum gebaͤren kann; er naͤherte
ſich allmaͤlig der Stadt, worin das Vaterhaus
lag, auf wunderbaren Wegen, am Rande breiter
Stroͤme, auf denen jede Welle einen ſchwimmen¬
den Roſenſtock trug, ſo daß unter dem dahin¬
ziehenden Roſenwalde das Waſſer kaum hindurch
funkelte. Ein Landmann pfluͤgte mit einem gol¬
denen Pfluge am Ufer mit milchweißen Ochſen,
unter deren Tritten große Kornblumen aufſpro߬
ten; die Furche fuͤllte ſich mit goldenen Koͤrnern,
welche der Bauer, indem er mit der einen Hand
den Pflug lenkte, mit der anderen aufſchoͤpfte

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[221/0231] und doch ſo erfahrener Lehrer, verkuͤndet, ſah er nun im Traume bald die Stadt, bald das ſchoͤne Dorf auf wunderbare Weiſe verklaͤrt und ver¬ aͤndert, ohne je hinein gelangen zu koͤnnen, oder wenn er dort war, mit einem ploͤtzlichen traurigen Ausgang und Erwachen. Er durchreiſte die ſchoͤnſten Gegenden ſeines Vaterlandes, welche er in der Wirklichkeit niegeſehen, ſah die Gebirge, Thaͤler und Stroͤme mit wohlbekannten und doch ganz unerhoͤrten Namen, die wie Muſik klangen und doch etwas kindiſch Komiſches an ſich hatten, wie es nur der Traum gebaͤren kann; er naͤherte ſich allmaͤlig der Stadt, worin das Vaterhaus lag, auf wunderbaren Wegen, am Rande breiter Stroͤme, auf denen jede Welle einen ſchwimmen¬ den Roſenſtock trug, ſo daß unter dem dahin¬ ziehenden Roſenwalde das Waſſer kaum hindurch funkelte. Ein Landmann pfluͤgte mit einem gol¬ denen Pfluge am Ufer mit milchweißen Ochſen, unter deren Tritten große Kornblumen aufſpro߬ ten; die Furche fuͤllte ſich mit goldenen Koͤrnern, welche der Bauer, indem er mit der einen Hand den Pflug lenkte, mit der anderen aufſchoͤpfte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/231>, abgerufen am 22.11.2024.