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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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lichkeit, noch durch düsteres Unbehagen, weder im
Scherz noch im Ernst ließ sie sich verleiten und
überrumpeln, auch die kleinste ungewohnte Aus¬
gabe zu machen. Sie legte Groschen zu Groschen,
und wo diese einmal lagen, waren sie so sicher
aufgehoben, wie im Kasten des eingefleischten
Geizes. Mit der Ausdauer und Consequenz des
Geizes sammelte sie Geld, aber nicht zu ihrer
Freude und zur Lust ihrer Augen, denn das Ge¬
sammelte beschaute sie niemals und überzählte es
nie, und hierdurch unterschied sich ihr Thun und
Lassen von demjenigen der Geizigen.

Allein diese ihre Art, indem sie zurückhaltend,
ängstlich und geizig erschien und zugleich dienst¬
fertig, still, hülfereich und liebenswürdig war,
verlieh ihr einen eigenthümlichen und einsamen
Charakter, so daß die Leute ihre freundliche und
nützliche Seite annahmen und über ihr stilles,
strenges Sorgen, Hoffen und Fürchten sie nicht
befragten.

Zudem würden sie dasselbe weder begriffen,
noch gebilligt haben; denn alle verlangten von
ihren eigenen Söhnen, wenn sie nicht Gelehrte

lichkeit, noch durch duͤſteres Unbehagen, weder im
Scherz noch im Ernſt ließ ſie ſich verleiten und
uͤberrumpeln, auch die kleinſte ungewohnte Aus¬
gabe zu machen. Sie legte Groſchen zu Groſchen,
und wo dieſe einmal lagen, waren ſie ſo ſicher
aufgehoben, wie im Kaſten des eingefleiſchten
Geizes. Mit der Ausdauer und Conſequenz des
Geizes ſammelte ſie Geld, aber nicht zu ihrer
Freude und zur Luſt ihrer Augen, denn das Ge¬
ſammelte beſchaute ſie niemals und uͤberzaͤhlte es
nie, und hierdurch unterſchied ſich ihr Thun und
Laſſen von demjenigen der Geizigen.

Allein dieſe ihre Art, indem ſie zuruͤckhaltend,
aͤngſtlich und geizig erſchien und zugleich dienſt¬
fertig, ſtill, huͤlfereich und liebenswuͤrdig war,
verlieh ihr einen eigenthuͤmlichen und einſamen
Charakter, ſo daß die Leute ihre freundliche und
nuͤtzliche Seite annahmen und uͤber ihr ſtilles,
ſtrenges Sorgen, Hoffen und Fuͤrchten ſie nicht
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noch gebilligt haben; denn alle verlangten von
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[110/0120] lichkeit, noch durch duͤſteres Unbehagen, weder im Scherz noch im Ernſt ließ ſie ſich verleiten und uͤberrumpeln, auch die kleinſte ungewohnte Aus¬ gabe zu machen. Sie legte Groſchen zu Groſchen, und wo dieſe einmal lagen, waren ſie ſo ſicher aufgehoben, wie im Kaſten des eingefleiſchten Geizes. Mit der Ausdauer und Conſequenz des Geizes ſammelte ſie Geld, aber nicht zu ihrer Freude und zur Luſt ihrer Augen, denn das Ge¬ ſammelte beſchaute ſie niemals und uͤberzaͤhlte es nie, und hierdurch unterſchied ſich ihr Thun und Laſſen von demjenigen der Geizigen. Allein dieſe ihre Art, indem ſie zuruͤckhaltend, aͤngſtlich und geizig erſchien und zugleich dienſt¬ fertig, ſtill, huͤlfereich und liebenswuͤrdig war, verlieh ihr einen eigenthuͤmlichen und einſamen Charakter, ſo daß die Leute ihre freundliche und nuͤtzliche Seite annahmen und uͤber ihr ſtilles, ſtrenges Sorgen, Hoffen und Fuͤrchten ſie nicht befragten. Zudem wuͤrden ſie daſſelbe weder begriffen, noch gebilligt haben; denn alle verlangten von ihren eigenen Soͤhnen, wenn ſie nicht Gelehrte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/120>, abgerufen am 29.11.2024.