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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855.

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Aber überallhin brachte sie ihre strenge Ein¬
theilung und Sparsamkeit mit, so daß die uner¬
fahrenen und behäbigen Weiber, während sie
dankbar und rühmend ihre unermüdliche Hülfe
sich gefallen ließen, doch hinter ihrem Rücken sag¬
ten, es wäre eigentlich doch eine Sünde von der
Frau Lee, daß sie gar so ängstlich sei und so spröde
in sich verschlossen dem lieben Gott nichts über¬
lassen könne oder wolle. Dies war aber durch¬
aus nicht der Fall; sie überließ der Vorsehung
des Gottes Alles, was sie nicht verstand, vorerst
die Verwicklungen und Entwicklungen der mora¬
lischen Welt, mit denen sie nicht viel zu thun
hatte, da sie sich nicht in Gefahr begab; nichts
desto minder war Gott ihr auch der Grundpfeiler
in der Victualienfrage; aber diese hielt sie für so
wichtig, daß es für sie eine eigentliche Ehrensache
war, sich zuerst selber mit Hand und Fuß zu
wehren. Denn ein doppelter Strick halte besser,
und wenn auf Erden und im Himmel zugleich
gesorgt würde, so könne es um so weniger fehlen!

Und mit eiserner Treue hielt sie an ihrer
Weise fest; weder durch die Sonnenblicke der Fröh¬

Aber uͤberallhin brachte ſie ihre ſtrenge Ein¬
theilung und Sparſamkeit mit, ſo daß die uner¬
fahrenen und behaͤbigen Weiber, waͤhrend ſie
dankbar und ruͤhmend ihre unermuͤdliche Huͤlfe
ſich gefallen ließen, doch hinter ihrem Ruͤcken ſag¬
ten, es waͤre eigentlich doch eine Suͤnde von der
Frau Lee, daß ſie gar ſo aͤngſtlich ſei und ſo ſproͤde
in ſich verſchloſſen dem lieben Gott nichts uͤber¬
laſſen koͤnne oder wolle. Dies war aber durch¬
aus nicht der Fall; ſie uͤberließ der Vorſehung
des Gottes Alles, was ſie nicht verſtand, vorerſt
die Verwicklungen und Entwicklungen der mora¬
liſchen Welt, mit denen ſie nicht viel zu thun
hatte, da ſie ſich nicht in Gefahr begab; nichts
deſto minder war Gott ihr auch der Grundpfeiler
in der Victualienfrage; aber dieſe hielt ſie fuͤr ſo
wichtig, daß es fuͤr ſie eine eigentliche Ehrenſache
war, ſich zuerſt ſelber mit Hand und Fuß zu
wehren. Denn ein doppelter Strick halte beſſer,
und wenn auf Erden und im Himmel zugleich
geſorgt wuͤrde, ſo koͤnne es um ſo weniger fehlen!

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[109/0119] Aber uͤberallhin brachte ſie ihre ſtrenge Ein¬ theilung und Sparſamkeit mit, ſo daß die uner¬ fahrenen und behaͤbigen Weiber, waͤhrend ſie dankbar und ruͤhmend ihre unermuͤdliche Huͤlfe ſich gefallen ließen, doch hinter ihrem Ruͤcken ſag¬ ten, es waͤre eigentlich doch eine Suͤnde von der Frau Lee, daß ſie gar ſo aͤngſtlich ſei und ſo ſproͤde in ſich verſchloſſen dem lieben Gott nichts uͤber¬ laſſen koͤnne oder wolle. Dies war aber durch¬ aus nicht der Fall; ſie uͤberließ der Vorſehung des Gottes Alles, was ſie nicht verſtand, vorerſt die Verwicklungen und Entwicklungen der mora¬ liſchen Welt, mit denen ſie nicht viel zu thun hatte, da ſie ſich nicht in Gefahr begab; nichts deſto minder war Gott ihr auch der Grundpfeiler in der Victualienfrage; aber dieſe hielt ſie fuͤr ſo wichtig, daß es fuͤr ſie eine eigentliche Ehrenſache war, ſich zuerſt ſelber mit Hand und Fuß zu wehren. Denn ein doppelter Strick halte beſſer, und wenn auf Erden und im Himmel zugleich geſorgt wuͤrde, ſo koͤnne es um ſo weniger fehlen! Und mit eiſerner Treue hielt ſie an ihrer Weiſe feſt; weder durch die Sonnenblicke der Froͤh¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 4. Braunschweig, 1855, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich04_1855/119>, abgerufen am 29.11.2024.