schweigsamer waren, so hatte ich Zeit, darüber nachzudenken, was ich thun wollte.
Je unmöglicher es mir schien, mein Verspre¬ chen zu halten, je weniger ich das Wesen, wel¬ ches ich mir zur Seite fühlte und das sich nun sanft an mich lehnte, auch nur im Gedanken be¬ leidigen und hintergehen mochte, desto dringender ward auf der andern Seite die Ueberzeugung, daß ich am Ende doch mein Wort halten müsse, da mich Judith nur im Vertrauen auf dasselbe in jener Nacht entlassen, und ich nahm keinen An¬ stand, mir einzubilden, daß das Brechen desselben sie kränken und ihr weh thun würde. Ich mochte um Alles in der Welt gerade vor ihr nicht un¬ männlich als Einer erscheinen, welcher aus Furcht ein Versprechen gäbe und aus Furcht dasselbe bräche. Da fand ich einen sehr klugen Ausweg, wie ich dachte, der mich wenigstens vor mir selbst rechtfertigen sollte. Ich brauchte nur bei dem Schulmeister zu wohnen, so war ich nicht im Dorfe, und wenn ich am Tage dasselbe besuchte, so brauchte ich Judith nicht zu sehen, welche sich nur meinen nächtlichen und geheimen Besuch wäh¬
ſchweigſamer waren, ſo hatte ich Zeit, daruͤber nachzudenken, was ich thun wollte.
Je unmoͤglicher es mir ſchien, mein Verſpre¬ chen zu halten, je weniger ich das Weſen, wel¬ ches ich mir zur Seite fuͤhlte und das ſich nun ſanft an mich lehnte, auch nur im Gedanken be¬ leidigen und hintergehen mochte, deſto dringender ward auf der andern Seite die Ueberzeugung, daß ich am Ende doch mein Wort halten muͤſſe, da mich Judith nur im Vertrauen auf daſſelbe in jener Nacht entlaſſen, und ich nahm keinen An¬ ſtand, mir einzubilden, daß das Brechen deſſelben ſie kraͤnken und ihr weh thun wuͤrde. Ich mochte um Alles in der Welt gerade vor ihr nicht un¬ maͤnnlich als Einer erſcheinen, welcher aus Furcht ein Verſprechen gaͤbe und aus Furcht daſſelbe braͤche. Da fand ich einen ſehr klugen Ausweg, wie ich dachte, der mich wenigſtens vor mir ſelbſt rechtfertigen ſollte. Ich brauchte nur bei dem Schulmeiſter zu wohnen, ſo war ich nicht im Dorfe, und wenn ich am Tage daſſelbe beſuchte, ſo brauchte ich Judith nicht zu ſehen, welche ſich nur meinen naͤchtlichen und geheimen Beſuch waͤh¬
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ſchweigſamer waren, ſo hatte ich Zeit, daruͤber
nachzudenken, was ich thun wollte.
Je unmoͤglicher es mir ſchien, mein Verſpre¬
chen zu halten, je weniger ich das Weſen, wel¬
ches ich mir zur Seite fuͤhlte und das ſich nun
ſanft an mich lehnte, auch nur im Gedanken be¬
leidigen und hintergehen mochte, deſto dringender
ward auf der andern Seite die Ueberzeugung,
daß ich am Ende doch mein Wort halten muͤſſe,
da mich Judith nur im Vertrauen auf daſſelbe
in jener Nacht entlaſſen, und ich nahm keinen An¬
ſtand, mir einzubilden, daß das Brechen deſſelben
ſie kraͤnken und ihr weh thun wuͤrde. Ich mochte
um Alles in der Welt gerade vor ihr nicht un¬
maͤnnlich als Einer erſcheinen, welcher aus Furcht
ein Verſprechen gaͤbe und aus Furcht daſſelbe
braͤche. Da fand ich einen ſehr klugen Ausweg,
wie ich dachte, der mich wenigſtens vor mir ſelbſt
rechtfertigen ſollte. Ich brauchte nur bei dem
Schulmeiſter zu wohnen, ſo war ich nicht im
Dorfe, und wenn ich am Tage daſſelbe beſuchte,
ſo brauchte ich Judith nicht zu ſehen, welche ſich
nur meinen naͤchtlichen und geheimen Beſuch waͤh¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/62>, abgerufen am 23.11.2024.
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