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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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alle Drei, warum wir eigentlich auf diesen Wegen
fuhren; der Schulmeister war gesprächig und er¬
zählte uns viele Geschichten von den Gegenden,
durch welche wir kamen, zeigte uns die heiteren
Wohnungen, wo berühmte Männer hausten, deren
wohlgeordnete und gepflegte Räume und Gärten
die weise Klugheit ihrer Besitzer verkündeten oder
deren weiße Giebelwände und glänzende Fenster
auch von entlegenen Halden im Sonnenschein die
gleiche Kunde gaben. Da und dort wohnte eine
berühmte Tochter oder deren zwei, von denen et¬
was zu erblicken wir im Vorüberfahren uns be¬
mühten, und wenn dies gelang, so benahm sich
Anna mit dem bescheidenen Anstande derjenigen,
welche selbst Blumen des Landes sind.

Doch dunkelte es eine geraume Weile, ehe
wir an's Ziel gelangten, und mit der Dunkelheit
fiel es mir plötzlich ein, daß ich Judith das Ver¬
sprechen gegeben, sie jedesmal zu besuchen, wenn
ich in's Dorf käme. Anna hatte sich wieder ver¬
hüllt, ich saß nun neben ihr, da der Schulmeister,
welcher die Wege besser kannte, die Zügel genom¬
men, und weil wir der Dunkelheit wegen nun

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alle Drei, warum wir eigentlich auf dieſen Wegen
fuhren; der Schulmeiſter war geſpraͤchig und er¬
zaͤhlte uns viele Geſchichten von den Gegenden,
durch welche wir kamen, zeigte uns die heiteren
Wohnungen, wo beruͤhmte Maͤnner hauſten, deren
wohlgeordnete und gepflegte Raͤume und Gaͤrten
die weiſe Klugheit ihrer Beſitzer verkuͤndeten oder
deren weiße Giebelwaͤnde und glaͤnzende Fenſter
auch von entlegenen Halden im Sonnenſchein die
gleiche Kunde gaben. Da und dort wohnte eine
beruͤhmte Tochter oder deren zwei, von denen et¬
was zu erblicken wir im Voruͤberfahren uns be¬
muͤhten, und wenn dies gelang, ſo benahm ſich
Anna mit dem beſcheidenen Anſtande derjenigen,
welche ſelbſt Blumen des Landes ſind.

Doch dunkelte es eine geraume Weile, ehe
wir an's Ziel gelangten, und mit der Dunkelheit
fiel es mir ploͤtzlich ein, daß ich Judith das Ver¬
ſprechen gegeben, ſie jedesmal zu beſuchen, wenn
ich in's Dorf kaͤme. Anna hatte ſich wieder ver¬
huͤllt, ich ſaß nun neben ihr, da der Schulmeiſter,
welcher die Wege beſſer kannte, die Zuͤgel genom¬
men, und weil wir der Dunkelheit wegen nun

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[51/0061] alle Drei, warum wir eigentlich auf dieſen Wegen fuhren; der Schulmeiſter war geſpraͤchig und er¬ zaͤhlte uns viele Geſchichten von den Gegenden, durch welche wir kamen, zeigte uns die heiteren Wohnungen, wo beruͤhmte Maͤnner hauſten, deren wohlgeordnete und gepflegte Raͤume und Gaͤrten die weiſe Klugheit ihrer Beſitzer verkuͤndeten oder deren weiße Giebelwaͤnde und glaͤnzende Fenſter auch von entlegenen Halden im Sonnenſchein die gleiche Kunde gaben. Da und dort wohnte eine beruͤhmte Tochter oder deren zwei, von denen et¬ was zu erblicken wir im Voruͤberfahren uns be¬ muͤhten, und wenn dies gelang, ſo benahm ſich Anna mit dem beſcheidenen Anſtande derjenigen, welche ſelbſt Blumen des Landes ſind. Doch dunkelte es eine geraume Weile, ehe wir an's Ziel gelangten, und mit der Dunkelheit fiel es mir ploͤtzlich ein, daß ich Judith das Ver¬ ſprechen gegeben, ſie jedesmal zu beſuchen, wenn ich in's Dorf kaͤme. Anna hatte ſich wieder ver¬ huͤllt, ich ſaß nun neben ihr, da der Schulmeiſter, welcher die Wege beſſer kannte, die Zuͤgel genom¬ men, und weil wir der Dunkelheit wegen nun 4*

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/61>, abgerufen am 27.11.2024.