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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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wenn auch die Ursache traurig war. Andächtig
und gern beschied ich mich und gönnte von ganzem
Herzen Anna die Ehre, bei Tische mit den Ael¬
tern auf gleichem Fuße zu stehen, zumal sie durch
ihr Schicksal diese Ehre mit frühen Leiden zu
erkaufen bestimmt schien. Auch der Schulmeister
war heiter und ganz wie sonst; denn bei den Schick¬
salen und Leiden, welche uns Angehörige be¬
treffen, benehmen wir uns nicht lamentabel, son¬
dern fast vom ersten Augenblicke an mit der
gleichen Gefaßtheit, mit dem gleichen Wechsel von
Hoffnung, Furcht und Selbsttäuschung, wie die
Betroffenen selbst. Doch ermahnte jetzt der Schul¬
meister seine Tochter, nicht zu viel zu sprechen,
und mich fragte er, ob ich die Ursache der kleinen
Reise schon kenne, und fügte hinzu: "Ja, lieber
Heinrich! meine Anna scheint krank werden zu
wollen! Doch laßt uns den Muth nicht verlieren!
Der Arzt hat ja gesagt, daß vor der Hand nicht
viel zu sagen und zu thun wäre. Er hat uns
einige Verhaltungsregeln gegeben und anbefohlen,
ruhig zurückzukehren und dort zu leben, anstatt
hieher zu ziehen, da die dortige Luft angemessener

wenn auch die Urſache traurig war. Andaͤchtig
und gern beſchied ich mich und goͤnnte von ganzem
Herzen Anna die Ehre, bei Tiſche mit den Ael¬
tern auf gleichem Fuße zu ſtehen, zumal ſie durch
ihr Schickſal dieſe Ehre mit fruͤhen Leiden zu
erkaufen beſtimmt ſchien. Auch der Schulmeiſter
war heiter und ganz wie ſonſt; denn bei den Schick¬
ſalen und Leiden, welche uns Angehoͤrige be¬
treffen, benehmen wir uns nicht lamentabel, ſon¬
dern faſt vom erſten Augenblicke an mit der
gleichen Gefaßtheit, mit dem gleichen Wechſel von
Hoffnung, Furcht und Selbſttaͤuſchung, wie die
Betroffenen ſelbſt. Doch ermahnte jetzt der Schul¬
meiſter ſeine Tochter, nicht zu viel zu ſprechen,
und mich fragte er, ob ich die Urſache der kleinen
Reiſe ſchon kenne, und fuͤgte hinzu: »Ja, lieber
Heinrich! meine Anna ſcheint krank werden zu
wollen! Doch laßt uns den Muth nicht verlieren!
Der Arzt hat ja geſagt, daß vor der Hand nicht
viel zu ſagen und zu thun waͤre. Er hat uns
einige Verhaltungsregeln gegeben und anbefohlen,
ruhig zuruͤckzukehren und dort zu leben, anſtatt
hieher zu ziehen, da die dortige Luft angemeſſener

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[46/0056] wenn auch die Urſache traurig war. Andaͤchtig und gern beſchied ich mich und goͤnnte von ganzem Herzen Anna die Ehre, bei Tiſche mit den Ael¬ tern auf gleichem Fuße zu ſtehen, zumal ſie durch ihr Schickſal dieſe Ehre mit fruͤhen Leiden zu erkaufen beſtimmt ſchien. Auch der Schulmeiſter war heiter und ganz wie ſonſt; denn bei den Schick¬ ſalen und Leiden, welche uns Angehoͤrige be¬ treffen, benehmen wir uns nicht lamentabel, ſon¬ dern faſt vom erſten Augenblicke an mit der gleichen Gefaßtheit, mit dem gleichen Wechſel von Hoffnung, Furcht und Selbſttaͤuſchung, wie die Betroffenen ſelbſt. Doch ermahnte jetzt der Schul¬ meiſter ſeine Tochter, nicht zu viel zu ſprechen, und mich fragte er, ob ich die Urſache der kleinen Reiſe ſchon kenne, und fuͤgte hinzu: »Ja, lieber Heinrich! meine Anna ſcheint krank werden zu wollen! Doch laßt uns den Muth nicht verlieren! Der Arzt hat ja geſagt, daß vor der Hand nicht viel zu ſagen und zu thun waͤre. Er hat uns einige Verhaltungsregeln gegeben und anbefohlen, ruhig zuruͤckzukehren und dort zu leben, anſtatt hieher zu ziehen, da die dortige Luft angemeſſener

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/56>, abgerufen am 23.11.2024.