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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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rascht stand ich auf und ging ihnen entgegen,
und erst als ich Anna die Hand geben wollte,
sah ich, daß ich immer noch ihren Mantel hielt.
Sie erröthete und lächelte zugleich, während ich
verlegen dastand; der Schulmeister warf mir vor,
warum ich mich den ganzen Sommer über nie
sehen lassen, und so vergaß ich über diesen Be¬
grüßungen ganz die Mittheilung der Mutter, an
welche mich auch nichts Auffallendes erinnerte.
Erst als wir am Tische saßen, wurde ich durch
eine gewisse vermehrte Liebe und Aufmerksamkeit,
mit welcher meine Mutter Anna behandelte, er¬
innert und glaubte jetzt nur zu sehen, daß sie
gegen früher fast größer, aber auch zugleich zarter
und schmächtiger erschien; ihre Gesichtsfarbe war
wie durchsichtig geworden und um ihre Augen,
welche erhöht glänzten, bald in dem kindlichen
Feuer früherer Tage, bald in einem träumerischen
tiefen Nachdenken, lag etwas Leidendes. Sie
war heiter und sprach ziemlich viel, während ich
schwieg, hörte und sie ansah; denn sie hatte ein
dreifaches Recht zu sprechen: als Gast, als Mäd¬
chen und als die Hauptperson dieses Besuches,

raſcht ſtand ich auf und ging ihnen entgegen,
und erſt als ich Anna die Hand geben wollte,
ſah ich, daß ich immer noch ihren Mantel hielt.
Sie erroͤthete und laͤchelte zugleich, waͤhrend ich
verlegen daſtand; der Schulmeiſter warf mir vor,
warum ich mich den ganzen Sommer uͤber nie
ſehen laſſen, und ſo vergaß ich uͤber dieſen Be¬
gruͤßungen ganz die Mittheilung der Mutter, an
welche mich auch nichts Auffallendes erinnerte.
Erſt als wir am Tiſche ſaßen, wurde ich durch
eine gewiſſe vermehrte Liebe und Aufmerkſamkeit,
mit welcher meine Mutter Anna behandelte, er¬
innert und glaubte jetzt nur zu ſehen, daß ſie
gegen fruͤher faſt groͤßer, aber auch zugleich zarter
und ſchmaͤchtiger erſchien; ihre Geſichtsfarbe war
wie durchſichtig geworden und um ihre Augen,
welche erhoͤht glaͤnzten, bald in dem kindlichen
Feuer fruͤherer Tage, bald in einem traͤumeriſchen
tiefen Nachdenken, lag etwas Leidendes. Sie
war heiter und ſprach ziemlich viel, waͤhrend ich
ſchwieg, hoͤrte und ſie anſah; denn ſie hatte ein
dreifaches Recht zu ſprechen: als Gaſt, als Maͤd¬
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[45/0055] raſcht ſtand ich auf und ging ihnen entgegen, und erſt als ich Anna die Hand geben wollte, ſah ich, daß ich immer noch ihren Mantel hielt. Sie erroͤthete und laͤchelte zugleich, waͤhrend ich verlegen daſtand; der Schulmeiſter warf mir vor, warum ich mich den ganzen Sommer uͤber nie ſehen laſſen, und ſo vergaß ich uͤber dieſen Be¬ gruͤßungen ganz die Mittheilung der Mutter, an welche mich auch nichts Auffallendes erinnerte. Erſt als wir am Tiſche ſaßen, wurde ich durch eine gewiſſe vermehrte Liebe und Aufmerkſamkeit, mit welcher meine Mutter Anna behandelte, er¬ innert und glaubte jetzt nur zu ſehen, daß ſie gegen fruͤher faſt groͤßer, aber auch zugleich zarter und ſchmaͤchtiger erſchien; ihre Geſichtsfarbe war wie durchſichtig geworden und um ihre Augen, welche erhoͤht glaͤnzten, bald in dem kindlichen Feuer fruͤherer Tage, bald in einem traͤumeriſchen tiefen Nachdenken, lag etwas Leidendes. Sie war heiter und ſprach ziemlich viel, waͤhrend ich ſchwieg, hoͤrte und ſie anſah; denn ſie hatte ein dreifaches Recht zu ſprechen: als Gaſt, als Maͤd¬ chen und als die Hauptperſon dieſes Beſuches,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/55>, abgerufen am 23.11.2024.