der gereiften Schönheit Rosaliens nicht in Rede kommen könne. Er hatte auch mit großer Fein¬ heit seine Rolle gespielt, so daß Niemand deren Falschheit bemerkte, als Rosalie und Agnes selbst, welche bald nach ihrer ersten Freude die alte Weise Ferdinand's erkannte und darüber tödtlich erschrak.
Rosalien war seine veränderte kokette Tracht aufgefallen, und sie fühlte sich dadurch beleidigt; auch hatte sie von Erikson, so viel dieser davon wußte, sein Verhältniß zu Agnes erfahren und war erst Willens, durch ein kluges Verfahren dem jungen seltsamen Mädchen, das ihr wohl ge¬ fiel, zu seinem Rechte zu verhelfen und Ferdinand in Güte zu ihr hinzulenken. Im Verlauf des Tages sah sie aber ein, daß er kein Glück sei für ein so naives Kind und daß sie mit gutem Ge¬ wissen nicht in dessen Geschick eingreifen dürfe, und sie entschloß sich, den selbstsüchtigen Untreuen seinen Weg gehen zu lassen und ihn auf ihre Weise zu bestrafen.
Als er daher Agnes, nachdem er sie der Ob¬ hut Heinrich's übergeben, plötzlich wieder verließ
der gereiften Schoͤnheit Roſaliens nicht in Rede kommen koͤnne. Er hatte auch mit großer Fein¬ heit ſeine Rolle geſpielt, ſo daß Niemand deren Falſchheit bemerkte, als Roſalie und Agnes ſelbſt, welche bald nach ihrer erſten Freude die alte Weiſe Ferdinand's erkannte und daruͤber toͤdtlich erſchrak.
Roſalien war ſeine veraͤnderte kokette Tracht aufgefallen, und ſie fuͤhlte ſich dadurch beleidigt; auch hatte ſie von Erikſon, ſo viel dieſer davon wußte, ſein Verhaͤltniß zu Agnes erfahren und war erſt Willens, durch ein kluges Verfahren dem jungen ſeltſamen Maͤdchen, das ihr wohl ge¬ fiel, zu ſeinem Rechte zu verhelfen und Ferdinand in Guͤte zu ihr hinzulenken. Im Verlauf des Tages ſah ſie aber ein, daß er kein Gluͤck ſei fuͤr ein ſo naives Kind und daß ſie mit gutem Ge¬ wiſſen nicht in deſſen Geſchick eingreifen duͤrfe, und ſie entſchloß ſich, den ſelbſtſuͤchtigen Untreuen ſeinen Weg gehen zu laſſen und ihn auf ihre Weiſe zu beſtrafen.
Als er daher Agnes, nachdem er ſie der Ob¬ hut Heinrich's uͤbergeben, ploͤtzlich wieder verließ
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0330"n="320"/>
der gereiften Schoͤnheit Roſaliens nicht in Rede<lb/>
kommen koͤnne. Er hatte auch mit großer Fein¬<lb/>
heit ſeine Rolle geſpielt, ſo daß Niemand deren<lb/>
Falſchheit bemerkte, als Roſalie und Agnes ſelbſt,<lb/>
welche bald nach ihrer erſten Freude die alte<lb/>
Weiſe Ferdinand's erkannte und daruͤber toͤdtlich<lb/>
erſchrak.</p><lb/><p>Roſalien war ſeine veraͤnderte kokette Tracht<lb/>
aufgefallen, und ſie fuͤhlte ſich dadurch beleidigt;<lb/>
auch hatte ſie von Erikſon, ſo viel dieſer davon<lb/>
wußte, ſein Verhaͤltniß zu Agnes erfahren und<lb/>
war erſt Willens, durch ein kluges Verfahren<lb/>
dem jungen ſeltſamen Maͤdchen, das ihr wohl ge¬<lb/>
fiel, zu ſeinem Rechte zu verhelfen und Ferdinand<lb/>
in Guͤte zu ihr hinzulenken. Im Verlauf des<lb/>
Tages ſah ſie aber ein, daß er kein Gluͤck ſei fuͤr<lb/>
ein ſo naives Kind und daß ſie mit gutem Ge¬<lb/>
wiſſen nicht in deſſen Geſchick eingreifen duͤrfe,<lb/>
und ſie entſchloß ſich, den ſelbſtſuͤchtigen Untreuen<lb/>ſeinen Weg gehen zu laſſen und ihn auf ihre<lb/>
Weiſe zu beſtrafen.</p><lb/><p>Als er daher Agnes, nachdem er ſie der Ob¬<lb/>
hut Heinrich's uͤbergeben, ploͤtzlich wieder verließ<lb/></p></div></body></text></TEI>
[320/0330]
der gereiften Schoͤnheit Roſaliens nicht in Rede
kommen koͤnne. Er hatte auch mit großer Fein¬
heit ſeine Rolle geſpielt, ſo daß Niemand deren
Falſchheit bemerkte, als Roſalie und Agnes ſelbſt,
welche bald nach ihrer erſten Freude die alte
Weiſe Ferdinand's erkannte und daruͤber toͤdtlich
erſchrak.
Roſalien war ſeine veraͤnderte kokette Tracht
aufgefallen, und ſie fuͤhlte ſich dadurch beleidigt;
auch hatte ſie von Erikſon, ſo viel dieſer davon
wußte, ſein Verhaͤltniß zu Agnes erfahren und
war erſt Willens, durch ein kluges Verfahren
dem jungen ſeltſamen Maͤdchen, das ihr wohl ge¬
fiel, zu ſeinem Rechte zu verhelfen und Ferdinand
in Guͤte zu ihr hinzulenken. Im Verlauf des
Tages ſah ſie aber ein, daß er kein Gluͤck ſei fuͤr
ein ſo naives Kind und daß ſie mit gutem Ge¬
wiſſen nicht in deſſen Geſchick eingreifen duͤrfe,
und ſie entſchloß ſich, den ſelbſtſuͤchtigen Untreuen
ſeinen Weg gehen zu laſſen und ihn auf ihre
Weiſe zu beſtrafen.
Als er daher Agnes, nachdem er ſie der Ob¬
hut Heinrich's uͤbergeben, ploͤtzlich wieder verließ
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/330>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.