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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854.

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der gereiften Schönheit Rosaliens nicht in Rede
kommen könne. Er hatte auch mit großer Fein¬
heit seine Rolle gespielt, so daß Niemand deren
Falschheit bemerkte, als Rosalie und Agnes selbst,
welche bald nach ihrer ersten Freude die alte
Weise Ferdinand's erkannte und darüber tödtlich
erschrak.

Rosalien war seine veränderte kokette Tracht
aufgefallen, und sie fühlte sich dadurch beleidigt;
auch hatte sie von Erikson, so viel dieser davon
wußte, sein Verhältniß zu Agnes erfahren und
war erst Willens, durch ein kluges Verfahren
dem jungen seltsamen Mädchen, das ihr wohl ge¬
fiel, zu seinem Rechte zu verhelfen und Ferdinand
in Güte zu ihr hinzulenken. Im Verlauf des
Tages sah sie aber ein, daß er kein Glück sei für
ein so naives Kind und daß sie mit gutem Ge¬
wissen nicht in dessen Geschick eingreifen dürfe,
und sie entschloß sich, den selbstsüchtigen Untreuen
seinen Weg gehen zu lassen und ihn auf ihre
Weise zu bestrafen.

Als er daher Agnes, nachdem er sie der Ob¬
hut Heinrich's übergeben, plötzlich wieder verließ

der gereiften Schoͤnheit Roſaliens nicht in Rede
kommen koͤnne. Er hatte auch mit großer Fein¬
heit ſeine Rolle geſpielt, ſo daß Niemand deren
Falſchheit bemerkte, als Roſalie und Agnes ſelbſt,
welche bald nach ihrer erſten Freude die alte
Weiſe Ferdinand's erkannte und daruͤber toͤdtlich
erſchrak.

Roſalien war ſeine veraͤnderte kokette Tracht
aufgefallen, und ſie fuͤhlte ſich dadurch beleidigt;
auch hatte ſie von Erikſon, ſo viel dieſer davon
wußte, ſein Verhaͤltniß zu Agnes erfahren und
war erſt Willens, durch ein kluges Verfahren
dem jungen ſeltſamen Maͤdchen, das ihr wohl ge¬
fiel, zu ſeinem Rechte zu verhelfen und Ferdinand
in Guͤte zu ihr hinzulenken. Im Verlauf des
Tages ſah ſie aber ein, daß er kein Gluͤck ſei fuͤr
ein ſo naives Kind und daß ſie mit gutem Ge¬
wiſſen nicht in deſſen Geſchick eingreifen duͤrfe,
und ſie entſchloß ſich, den ſelbſtſuͤchtigen Untreuen
ſeinen Weg gehen zu laſſen und ihn auf ihre
Weiſe zu beſtrafen.

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[320/0330] der gereiften Schoͤnheit Roſaliens nicht in Rede kommen koͤnne. Er hatte auch mit großer Fein¬ heit ſeine Rolle geſpielt, ſo daß Niemand deren Falſchheit bemerkte, als Roſalie und Agnes ſelbſt, welche bald nach ihrer erſten Freude die alte Weiſe Ferdinand's erkannte und daruͤber toͤdtlich erſchrak. Roſalien war ſeine veraͤnderte kokette Tracht aufgefallen, und ſie fuͤhlte ſich dadurch beleidigt; auch hatte ſie von Erikſon, ſo viel dieſer davon wußte, ſein Verhaͤltniß zu Agnes erfahren und war erſt Willens, durch ein kluges Verfahren dem jungen ſeltſamen Maͤdchen, das ihr wohl ge¬ fiel, zu ſeinem Rechte zu verhelfen und Ferdinand in Guͤte zu ihr hinzulenken. Im Verlauf des Tages ſah ſie aber ein, daß er kein Gluͤck ſei fuͤr ein ſo naives Kind und daß ſie mit gutem Ge¬ wiſſen nicht in deſſen Geſchick eingreifen duͤrfe, und ſie entſchloß ſich, den ſelbſtſuͤchtigen Untreuen ſeinen Weg gehen zu laſſen und ihn auf ihre Weiſe zu beſtrafen. Als er daher Agnes, nachdem er ſie der Ob¬ hut Heinrich's uͤbergeben, ploͤtzlich wieder verließ

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 3. Braunschweig, 1854, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich03_1854/330>, abgerufen am 25.11.2024.