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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Traumbilder mich verfolgten. Die Nacht im
Thale war unruhig und geräuschvoll, denn es
war diejenige des Sonnabends auf den Sonntag,
in welcher die ledigen Bursche bis zum Morgen
zu schwärmen und ihren Liebeswegen nachzugehen
pflegen. Ein Theil derselben durchzog in Haufen
singend und jauchzend die nächtliche Gegend, bald
fern, bald nah laut werdend; ein anderer Theil
schlich einzeln um die Wohnungen her, mit ver¬
haltner Stimme Mädchennamen rufend, Leitern
anlegend. Steinchen an Fensterladen werfend.
Ich stand auf und öffnete das Fenster; balsami¬
sche Mailuft strömte mir entgegen, die Sterne
zwinkerten verliebt hernieder, ein Kätzchen duckte
sich um die eine Hausecke, um die andere bog
ein schlanker Schatten mit einer langen Leiter
und lehnte sie an das Haus, drei oder vier Fen¬
ster von mir. Rüstig klomm er die Sprossen
entlang und rief halblaut den Namen der ältesten
Base, worauf das Fenster leise aufging und ein
trauliches Geflüster begann, von einem Geräusche
unterbrochen, welches von demjenigen feuriger
Küsse nicht im Mindesten zu unterscheiden war.

Traumbilder mich verfolgten. Die Nacht im
Thale war unruhig und geraͤuſchvoll, denn es
war diejenige des Sonnabends auf den Sonntag,
in welcher die ledigen Burſche bis zum Morgen
zu ſchwaͤrmen und ihren Liebeswegen nachzugehen
pflegen. Ein Theil derſelben durchzog in Haufen
ſingend und jauchzend die naͤchtliche Gegend, bald
fern, bald nah laut werdend; ein anderer Theil
ſchlich einzeln um die Wohnungen her, mit ver¬
haltner Stimme Maͤdchennamen rufend, Leitern
anlegend. Steinchen an Fenſterladen werfend.
Ich ſtand auf und oͤffnete das Fenſter; balſami¬
ſche Mailuft ſtroͤmte mir entgegen, die Sterne
zwinkerten verliebt hernieder, ein Kaͤtzchen duckte
ſich um die eine Hausecke, um die andere bog
ein ſchlanker Schatten mit einer langen Leiter
und lehnte ſie an das Haus, drei oder vier Fen¬
ſter von mir. Ruͤſtig klomm er die Sproſſen
entlang und rief halblaut den Namen der aͤlteſten
Baſe, worauf das Fenſter leiſe aufging und ein
trauliches Gefluͤſter begann, von einem Geraͤuſche
unterbrochen, welches von demjenigen feuriger
Kuͤſſe nicht im Mindeſten zu unterſcheiden war.

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[224/0234] Traumbilder mich verfolgten. Die Nacht im Thale war unruhig und geraͤuſchvoll, denn es war diejenige des Sonnabends auf den Sonntag, in welcher die ledigen Burſche bis zum Morgen zu ſchwaͤrmen und ihren Liebeswegen nachzugehen pflegen. Ein Theil derſelben durchzog in Haufen ſingend und jauchzend die naͤchtliche Gegend, bald fern, bald nah laut werdend; ein anderer Theil ſchlich einzeln um die Wohnungen her, mit ver¬ haltner Stimme Maͤdchennamen rufend, Leitern anlegend. Steinchen an Fenſterladen werfend. Ich ſtand auf und oͤffnete das Fenſter; balſami¬ ſche Mailuft ſtroͤmte mir entgegen, die Sterne zwinkerten verliebt hernieder, ein Kaͤtzchen duckte ſich um die eine Hausecke, um die andere bog ein ſchlanker Schatten mit einer langen Leiter und lehnte ſie an das Haus, drei oder vier Fen¬ ſter von mir. Ruͤſtig klomm er die Sproſſen entlang und rief halblaut den Namen der aͤlteſten Baſe, worauf das Fenſter leiſe aufging und ein trauliches Gefluͤſter begann, von einem Geraͤuſche unterbrochen, welches von demjenigen feuriger Kuͤſſe nicht im Mindeſten zu unterſcheiden war.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/234>, abgerufen am 24.11.2024.