rüstiges Weib in voller Blüthe der Arbeitslust und Kraft, schnell ihre Haare zurückstrich und eine Schürze umband, hockten die Kinder alle hinter dem heißen Ofen und guckten scheu, doch kichernd hervor, ohne daß ich die Gewandtheit besaß, sie zahm zu machen, weil ich selbst noch zu nah an ihrem Alter stand und ihnen zu we¬ nig überlegen war. Meine neue Gönnerin ver¬ kündigte, daß ich gerade zu einer guten Stunde gekommen sei, da sie heute gebacken hätte, zer¬ schnitt sogleich einen gewaltigen Kuchen in vier Stücke und setzte Wein dazu, um dann den Tisch für das Mittagsmahl zu decken. Dieses Haus hatte nicht den patriarchalischen Anstrich, wie dasjenige der Großmutter; man sah keine Ge¬ räthe von Nußbaum, sondern nur von lackirtem Tannenholz, die Wände waren noch von frischer Holzfarbe, die Ziegel auf dem Dache hellroth, wie das zu Tage tretende Gebälke und vor dem Hause wenig oder kein Baumschatten; die Sonne überwand spielend die jungen Obstbäumchen und lag heiß auf dem weiten Gemüsegarten, in wel¬ chem nur ein bescheidenes Blumenrevier verkün¬
ruͤſtiges Weib in voller Bluͤthe der Arbeitsluſt und Kraft, ſchnell ihre Haare zuruͤckſtrich und eine Schuͤrze umband, hockten die Kinder alle hinter dem heißen Ofen und guckten ſcheu, doch kichernd hervor, ohne daß ich die Gewandtheit beſaß, ſie zahm zu machen, weil ich ſelbſt noch zu nah an ihrem Alter ſtand und ihnen zu we¬ nig uͤberlegen war. Meine neue Goͤnnerin ver¬ kuͤndigte, daß ich gerade zu einer guten Stunde gekommen ſei, da ſie heute gebacken haͤtte, zer¬ ſchnitt ſogleich einen gewaltigen Kuchen in vier Stuͤcke und ſetzte Wein dazu, um dann den Tiſch fuͤr das Mittagsmahl zu decken. Dieſes Haus hatte nicht den patriarchaliſchen Anſtrich, wie dasjenige der Großmutter; man ſah keine Ge¬ raͤthe von Nußbaum, ſondern nur von lackirtem Tannenholz, die Waͤnde waren noch von friſcher Holzfarbe, die Ziegel auf dem Dache hellroth, wie das zu Tage tretende Gebaͤlke und vor dem Hauſe wenig oder kein Baumſchatten; die Sonne uͤberwand ſpielend die jungen Obſtbaͤumchen und lag heiß auf dem weiten Gemuͤſegarten, in wel¬ chem nur ein beſcheidenes Blumenrevier verkuͤn¬
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[11/0021]
ruͤſtiges Weib in voller Bluͤthe der Arbeitsluſt
und Kraft, ſchnell ihre Haare zuruͤckſtrich und
eine Schuͤrze umband, hockten die Kinder alle
hinter dem heißen Ofen und guckten ſcheu, doch
kichernd hervor, ohne daß ich die Gewandtheit
beſaß, ſie zahm zu machen, weil ich ſelbſt noch
zu nah an ihrem Alter ſtand und ihnen zu we¬
nig uͤberlegen war. Meine neue Goͤnnerin ver¬
kuͤndigte, daß ich gerade zu einer guten Stunde
gekommen ſei, da ſie heute gebacken haͤtte, zer¬
ſchnitt ſogleich einen gewaltigen Kuchen in vier
Stuͤcke und ſetzte Wein dazu, um dann den Tiſch
fuͤr das Mittagsmahl zu decken. Dieſes Haus
hatte nicht den patriarchaliſchen Anſtrich, wie
dasjenige der Großmutter; man ſah keine Ge¬
raͤthe von Nußbaum, ſondern nur von lackirtem
Tannenholz, die Waͤnde waren noch von friſcher
Holzfarbe, die Ziegel auf dem Dache hellroth,
wie das zu Tage tretende Gebaͤlke und vor dem
Hauſe wenig oder kein Baumſchatten; die Sonne
uͤberwand ſpielend die jungen Obſtbaͤumchen und
lag heiß auf dem weiten Gemuͤſegarten, in wel¬
chem nur ein beſcheidenes Blumenrevier verkuͤn¬
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 11. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/21>, abgerufen am 18.12.2024.
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