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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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gentlich an das junge Volk zu verschenken. Statt
eines mächtigen Taschentuches ergriff sie, ihres
blöden Gesichtes wegen, ein kleines rothseidenes
Halstuch, wie es Bauermädchen tragen und gab
mir es, noch in das gleiche Papier gewickelt, in
dem sie es gekauft. Ich mußte ihr versprechen,
jeden Tag zu kommen und nächstens einmal dort
zu speisen.

Mein Vetter hatte sich längst entfernt und
ich suchte allein meinen Heimweg, das rothe Tü¬
chelchen in der Tasche. Bei einem Hause vor¬
beigehend, bemerkte ich einige derbe Kinder, welche
wie der Blitz hineinliefen und dort lärmend et¬
was riefen. Eine Frau kam heraus, holte mich
ein, kündigte sich als Base an und fragte, ob
ich denn nichts von ihr und ihrer Familie wisse?
Ich bejahte die Frage, indem ich mich entschul¬
digte, sie nicht gekannt zu haben. Sie nöthigte
mich nun in das Haus, wo es von frisch ge¬
backenem Brote duftete und eine lange Treppe
von unten bis oben mit großen viereckigen und
runden Kuchen bedeckt war, auf jeder Staffel ei¬
ner, um zu verkühlen. Während diese Base, ein

gentlich an das junge Volk zu verſchenken. Statt
eines maͤchtigen Taſchentuches ergriff ſie, ihres
bloͤden Geſichtes wegen, ein kleines rothſeidenes
Halstuch, wie es Bauermaͤdchen tragen und gab
mir es, noch in das gleiche Papier gewickelt, in
dem ſie es gekauft. Ich mußte ihr verſprechen,
jeden Tag zu kommen und naͤchſtens einmal dort
zu ſpeiſen.

Mein Vetter hatte ſich laͤngſt entfernt und
ich ſuchte allein meinen Heimweg, das rothe Tuͤ¬
chelchen in der Taſche. Bei einem Hauſe vor¬
beigehend, bemerkte ich einige derbe Kinder, welche
wie der Blitz hineinliefen und dort laͤrmend et¬
was riefen. Eine Frau kam heraus, holte mich
ein, kuͤndigte ſich als Baſe an und fragte, ob
ich denn nichts von ihr und ihrer Familie wiſſe?
Ich bejahte die Frage, indem ich mich entſchul¬
digte, ſie nicht gekannt zu haben. Sie noͤthigte
mich nun in das Haus, wo es von friſch ge¬
backenem Brote duftete und eine lange Treppe
von unten bis oben mit großen viereckigen und
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[10/0020] gentlich an das junge Volk zu verſchenken. Statt eines maͤchtigen Taſchentuches ergriff ſie, ihres bloͤden Geſichtes wegen, ein kleines rothſeidenes Halstuch, wie es Bauermaͤdchen tragen und gab mir es, noch in das gleiche Papier gewickelt, in dem ſie es gekauft. Ich mußte ihr verſprechen, jeden Tag zu kommen und naͤchſtens einmal dort zu ſpeiſen. Mein Vetter hatte ſich laͤngſt entfernt und ich ſuchte allein meinen Heimweg, das rothe Tuͤ¬ chelchen in der Taſche. Bei einem Hauſe vor¬ beigehend, bemerkte ich einige derbe Kinder, welche wie der Blitz hineinliefen und dort laͤrmend et¬ was riefen. Eine Frau kam heraus, holte mich ein, kuͤndigte ſich als Baſe an und fragte, ob ich denn nichts von ihr und ihrer Familie wiſſe? Ich bejahte die Frage, indem ich mich entſchul¬ digte, ſie nicht gekannt zu haben. Sie noͤthigte mich nun in das Haus, wo es von friſch ge¬ backenem Brote duftete und eine lange Treppe von unten bis oben mit großen viereckigen und runden Kuchen bedeckt war, auf jeder Staffel ei¬ ner, um zu verkuͤhlen. Waͤhrend dieſe Baſe, ein

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/20>, abgerufen am 28.03.2024.