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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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ich in ihrer Nähe bleiben konnte, gab ich vor,
ich müßte nun zur Abwechselung einmal Blumen
nach der Natur malen, und bat sie, mir einen
Strauß derselben zu brechen. Der Zusammen¬
stellung wegen begleitete ich sie in den Garten,
und nach einer guten halben Stunde hatten wir
endlich ein hübsches Bouquet beisammen und
setzten es in ein altmodisches Prunkglas, dieses
auf einen Tisch, der in einer Weinlaube hinter
dem Hause stand, Anna schüttete ihre Bohnen
rings darum her und wir setzten uns einander
gegenüber, bis zur Mittagsstunde arbeitend und
von unseren gegenseitigen Lebensläufen, Eltern
und Familien erzählend. Ich war nun ganz
erwärmt und heimisch geworden und begann bald
mit der Ueberlegenheit eines Bruders dem guten
Kinde mit wichtigen Urtheilen, eingestreuten Be¬
merkungen und Belehrungen zu imponiren, in¬
dessen ich meine Blumen mit verwegenen bunten
Farben anlegte und sie mir erstaunt und ver¬
gnügt zuschaute, über den Tisch gebeugt und ein
Büschel Bohnen in der einen, das kleine Taschen¬
messerchen in der anderen Hand. Ich zeichnete

ich in ihrer Naͤhe bleiben konnte, gab ich vor,
ich muͤßte nun zur Abwechſelung einmal Blumen
nach der Natur malen, und bat ſie, mir einen
Strauß derſelben zu brechen. Der Zuſammen¬
ſtellung wegen begleitete ich ſie in den Garten,
und nach einer guten halben Stunde hatten wir
endlich ein huͤbſches Bouquet beiſammen und
ſetzten es in ein altmodiſches Prunkglas, dieſes
auf einen Tiſch, der in einer Weinlaube hinter
dem Hauſe ſtand, Anna ſchuͤttete ihre Bohnen
rings darum her und wir ſetzten uns einander
gegenuͤber, bis zur Mittagsſtunde arbeitend und
von unſeren gegenſeitigen Lebenslaͤufen, Eltern
und Familien erzaͤhlend. Ich war nun ganz
erwaͤrmt und heimiſch geworden und begann bald
mit der Ueberlegenheit eines Bruders dem guten
Kinde mit wichtigen Urtheilen, eingeſtreuten Be¬
merkungen und Belehrungen zu imponiren, in¬
deſſen ich meine Blumen mit verwegenen bunten
Farben anlegte und ſie mir erſtaunt und ver¬
gnuͤgt zuſchaute, uͤber den Tiſch gebeugt und ein
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[110/0120] ich in ihrer Naͤhe bleiben konnte, gab ich vor, ich muͤßte nun zur Abwechſelung einmal Blumen nach der Natur malen, und bat ſie, mir einen Strauß derſelben zu brechen. Der Zuſammen¬ ſtellung wegen begleitete ich ſie in den Garten, und nach einer guten halben Stunde hatten wir endlich ein huͤbſches Bouquet beiſammen und ſetzten es in ein altmodiſches Prunkglas, dieſes auf einen Tiſch, der in einer Weinlaube hinter dem Hauſe ſtand, Anna ſchuͤttete ihre Bohnen rings darum her und wir ſetzten uns einander gegenuͤber, bis zur Mittagsſtunde arbeitend und von unſeren gegenſeitigen Lebenslaͤufen, Eltern und Familien erzaͤhlend. Ich war nun ganz erwaͤrmt und heimiſch geworden und begann bald mit der Ueberlegenheit eines Bruders dem guten Kinde mit wichtigen Urtheilen, eingeſtreuten Be¬ merkungen und Belehrungen zu imponiren, in¬ deſſen ich meine Blumen mit verwegenen bunten Farben anlegte und ſie mir erſtaunt und ver¬ gnuͤgt zuſchaute, uͤber den Tiſch gebeugt und ein Buͤſchel Bohnen in der einen, das kleine Taſchen¬ meſſerchen in der anderen Hand. Ich zeichnete

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/120>, abgerufen am 05.05.2024.