Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

irdischen Bedürfnisse hätte. Ich sah sie indeß
kaum eine Stunde nachher mit einem mächtigen
Stück Brod in der Hand und mir auch ein sol¬
ches bringend, unbefangen und tüchtig dreinbeißen
mit ihren kleinen weißen Zähnen, und dies be¬
gierige Essen im Gehen und Plaudern stand ihr
eben sowohl an, wie vorher der bescheidene An¬
stand am Tische, und reizte mich, meinen Pferde¬
kopf, wie wir die großen Brodstücke nannten,
ebenso schnell und lustig zu verzehren, trotz des
reichlich genossenen Frühstückes.

Nach diesem war der Vater mit der alten
Magd in seinen Weinberg gestiegen, um von den
reifenden Trauben das Laub zu brechen, welches
den Sonnenstrahlen den Zugang versperrte. Die
Besorgung des Weinberges war, nebst dem
Schlagen und Kleinmachen des Holzes, seine
Hauptarbeit in seinem beschaulichen Leben. Ich
hingegen/choice> sah mich nach einem Gegenstande mei¬
ner Thätigkeit um. Anna hatte eine mächtige
Wanne voll grüner Bohnen der Schwänzchen
und Fäden zu entledigen und an lange Fäden zu
reihen, um sie zum Dörren vorzubereiten. Damit

irdiſchen Beduͤrfniſſe haͤtte. Ich ſah ſie indeß
kaum eine Stunde nachher mit einem maͤchtigen
Stuͤck Brod in der Hand und mir auch ein ſol¬
ches bringend, unbefangen und tuͤchtig dreinbeißen
mit ihren kleinen weißen Zaͤhnen, und dies be¬
gierige Eſſen im Gehen und Plaudern ſtand ihr
eben ſowohl an, wie vorher der beſcheidene An¬
ſtand am Tiſche, und reizte mich, meinen Pferde¬
kopf, wie wir die großen Brodſtuͤcke nannten,
ebenſo ſchnell und luſtig zu verzehren, trotz des
reichlich genoſſenen Fruͤhſtuͤckes.

Nach dieſem war der Vater mit der alten
Magd in ſeinen Weinberg geſtiegen, um von den
reifenden Trauben das Laub zu brechen, welches
den Sonnenſtrahlen den Zugang verſperrte. Die
Beſorgung des Weinberges war, nebſt dem
Schlagen und Kleinmachen des Holzes, ſeine
Hauptarbeit in ſeinem beſchaulichen Leben. Ich
hingegen/choice> ſah mich nach einem Gegenſtande mei¬
ner Thaͤtigkeit um. Anna hatte eine maͤchtige
Wanne voll gruͤner Bohnen der Schwaͤnzchen
und Faͤden zu entledigen und an lange Faͤden zu
reihen, um ſie zum Doͤrren vorzubereiten. Damit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0119" n="109"/>
irdi&#x017F;chen Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e ha&#x0364;tte. Ich &#x017F;ah &#x017F;ie indeß<lb/>
kaum eine Stunde nachher mit einem ma&#x0364;chtigen<lb/>
Stu&#x0364;ck Brod in der Hand und mir auch ein &#x017F;ol¬<lb/>
ches bringend, unbefangen und tu&#x0364;chtig dreinbeißen<lb/>
mit ihren kleinen weißen Za&#x0364;hnen, und dies be¬<lb/>
gierige E&#x017F;&#x017F;en im Gehen und Plaudern &#x017F;tand ihr<lb/>
eben &#x017F;owohl an, wie vorher der be&#x017F;cheidene An¬<lb/>
&#x017F;tand am Ti&#x017F;che, und reizte mich, meinen Pferde¬<lb/>
kopf, wie wir die großen Brod&#x017F;tu&#x0364;cke nannten,<lb/>
eben&#x017F;o &#x017F;chnell und lu&#x017F;tig zu verzehren, trotz des<lb/>
reichlich geno&#x017F;&#x017F;enen Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ckes.</p><lb/>
        <p>Nach die&#x017F;em war der Vater mit der alten<lb/>
Magd in &#x017F;einen Weinberg ge&#x017F;tiegen, um von den<lb/>
reifenden Trauben das Laub zu brechen, welches<lb/>
den Sonnen&#x017F;trahlen den Zugang ver&#x017F;perrte. Die<lb/>
Be&#x017F;orgung des Weinberges war, neb&#x017F;t dem<lb/>
Schlagen und Kleinmachen des Holzes, &#x017F;eine<lb/>
Hauptarbeit in &#x017F;einem be&#x017F;chaulichen Leben. Ich<lb/><choice><sic>hiagegen</sic><corr>hingegen</corr></choice>/choice&gt; &#x017F;ah mich nach einem Gegen&#x017F;tande mei¬<lb/>
ner Tha&#x0364;tigkeit um. Anna hatte eine ma&#x0364;chtige<lb/>
Wanne voll gru&#x0364;ner Bohnen der Schwa&#x0364;nzchen<lb/>
und Fa&#x0364;den zu entledigen und an lange Fa&#x0364;den zu<lb/>
reihen, um &#x017F;ie zum Do&#x0364;rren vorzubereiten. Damit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[109/0119] irdiſchen Beduͤrfniſſe haͤtte. Ich ſah ſie indeß kaum eine Stunde nachher mit einem maͤchtigen Stuͤck Brod in der Hand und mir auch ein ſol¬ ches bringend, unbefangen und tuͤchtig dreinbeißen mit ihren kleinen weißen Zaͤhnen, und dies be¬ gierige Eſſen im Gehen und Plaudern ſtand ihr eben ſowohl an, wie vorher der beſcheidene An¬ ſtand am Tiſche, und reizte mich, meinen Pferde¬ kopf, wie wir die großen Brodſtuͤcke nannten, ebenſo ſchnell und luſtig zu verzehren, trotz des reichlich genoſſenen Fruͤhſtuͤckes. Nach dieſem war der Vater mit der alten Magd in ſeinen Weinberg geſtiegen, um von den reifenden Trauben das Laub zu brechen, welches den Sonnenſtrahlen den Zugang verſperrte. Die Beſorgung des Weinberges war, nebſt dem Schlagen und Kleinmachen des Holzes, ſeine Hauptarbeit in ſeinem beſchaulichen Leben. Ich hingegen/choice> ſah mich nach einem Gegenſtande mei¬ ner Thaͤtigkeit um. Anna hatte eine maͤchtige Wanne voll gruͤner Bohnen der Schwaͤnzchen und Faͤden zu entledigen und an lange Faͤden zu reihen, um ſie zum Doͤrren vorzubereiten. Damit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/119
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/119>, abgerufen am 05.05.2024.