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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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stieg träumend den Abhang hinunter und fand den
Weg durch stockfinstere Waldwege nach Hause,
ohne zu wissen wie.

Am nächsten Morgen legte ich denselben Weg,
der von Thau und Sonne funkelte und blitzte,
mit meinem Geräthe beladen, zurück und sah
bald den See unter dem Morgendufte hervor¬
leuchten. Haus und Garten waren vom jungen
Tag übergoldet und warfen ein reizendes Farben¬
bild in die unbewegte Fluth, zwischen den Bee¬
ten bewegte sich eine blaue Gestalt, so fern und
klein, wie in einem Nürnberger Spielzeuge, das
Bild verschwand wieder hinter den Bäumen, um
bald desto größer und näher hervorzutreten und
mich in seinen Rahmen mit aufzunehmen. Schul¬
meisters hatten mit dem Frühstücke auf mich ge¬
wartet, ich war sehr eßlustig geworden durch den
weiten Weg und sah mich daher mit großer Zu¬
friedenheit hinter dem Tische, während Anna die
Tugenden eines angehenden Hausmütterchens
auf's Lieblichste spielen ließ und sich endlich neben
mich setzte und so zierlich und mäßig an dem
Essen nippte wie eine Elfe, und als ob sie keine

ſtieg traͤumend den Abhang hinunter und fand den
Weg durch ſtockfinſtere Waldwege nach Hauſe,
ohne zu wiſſen wie.

Am naͤchſten Morgen legte ich denſelben Weg,
der von Thau und Sonne funkelte und blitzte,
mit meinem Geraͤthe beladen, zuruͤck und ſah
bald den See unter dem Morgendufte hervor¬
leuchten. Haus und Garten waren vom jungen
Tag uͤbergoldet und warfen ein reizendes Farben¬
bild in die unbewegte Fluth, zwiſchen den Bee¬
ten bewegte ſich eine blaue Geſtalt, ſo fern und
klein, wie in einem Nuͤrnberger Spielzeuge, das
Bild verſchwand wieder hinter den Baͤumen, um
bald deſto groͤßer und naͤher hervorzutreten und
mich in ſeinen Rahmen mit aufzunehmen. Schul¬
meiſters hatten mit dem Fruͤhſtuͤcke auf mich ge¬
wartet, ich war ſehr eßluſtig geworden durch den
weiten Weg und ſah mich daher mit großer Zu¬
friedenheit hinter dem Tiſche, waͤhrend Anna die
Tugenden eines angehenden Hausmuͤtterchens
auf's Lieblichſte ſpielen ließ und ſich endlich neben
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[108/0118] ſtieg traͤumend den Abhang hinunter und fand den Weg durch ſtockfinſtere Waldwege nach Hauſe, ohne zu wiſſen wie. Am naͤchſten Morgen legte ich denſelben Weg, der von Thau und Sonne funkelte und blitzte, mit meinem Geraͤthe beladen, zuruͤck und ſah bald den See unter dem Morgendufte hervor¬ leuchten. Haus und Garten waren vom jungen Tag uͤbergoldet und warfen ein reizendes Farben¬ bild in die unbewegte Fluth, zwiſchen den Bee¬ ten bewegte ſich eine blaue Geſtalt, ſo fern und klein, wie in einem Nuͤrnberger Spielzeuge, das Bild verſchwand wieder hinter den Baͤumen, um bald deſto groͤßer und naͤher hervorzutreten und mich in ſeinen Rahmen mit aufzunehmen. Schul¬ meiſters hatten mit dem Fruͤhſtuͤcke auf mich ge¬ wartet, ich war ſehr eßluſtig geworden durch den weiten Weg und ſah mich daher mit großer Zu¬ friedenheit hinter dem Tiſche, waͤhrend Anna die Tugenden eines angehenden Hausmuͤtterchens auf's Lieblichſte ſpielen ließ und ſich endlich neben mich ſetzte und ſo zierlich und maͤßig an dem Eſſen nippte wie eine Elfe, und als ob ſie keine

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/118>, abgerufen am 05.05.2024.