und schämte mich dergestalt, daß ich ohne zu sprechen den Berg hinanstürmte und das arme Kind mir beinahe nicht folgen konnte. Sie ließ sich dies nicht ansehen, sondern schritt tapfer aus, und sobald wir allein waren, fing sie ganz ge¬ läufig und sicher an zu plaudern über die Wege, welche sie mir zeigen mußte, über das Feld, über den Wald, wem diese und jene Parzelle gehöre und wie es hier und dort vor wenigen Jahren noch gewesen sei. Ich wußte wenig zu erwiedern, während ich aufmerksam zuhörte und jedes Wort wie einen Tropfen Muskatwein verschlang; meine Eile hatte schon nachgelassen, als wir die Höhe des Berges erreichten und auf seiner Ebene ge¬ mächlich dahingingen. Der funkelnde Sternhim¬ mel hing weit gebreitet über dem Lande und doch war es dunkel auf dem Berge, und die Dunkelheit band uns näher zusammen, da wir, unsere Gesichter kaum sehend, einander auch bes¬ ser zu hören glaubten, wenn wir uns fest zu¬ sammenhielten. Das Wasser rauschte vertraulich im fernen Thale, hier und da sahen wir ein mattes Licht auf der dunklen Erde glimmen,
und ſchaͤmte mich dergeſtalt, daß ich ohne zu ſprechen den Berg hinanſtuͤrmte und das arme Kind mir beinahe nicht folgen konnte. Sie ließ ſich dies nicht anſehen, ſondern ſchritt tapfer aus, und ſobald wir allein waren, fing ſie ganz ge¬ laͤufig und ſicher an zu plaudern uͤber die Wege, welche ſie mir zeigen mußte, uͤber das Feld, uͤber den Wald, wem dieſe und jene Parzelle gehoͤre und wie es hier und dort vor wenigen Jahren noch geweſen ſei. Ich wußte wenig zu erwiedern, waͤhrend ich aufmerkſam zuhoͤrte und jedes Wort wie einen Tropfen Muskatwein verſchlang; meine Eile hatte ſchon nachgelaſſen, als wir die Hoͤhe des Berges erreichten und auf ſeiner Ebene ge¬ maͤchlich dahingingen. Der funkelnde Sternhim¬ mel hing weit gebreitet uͤber dem Lande und doch war es dunkel auf dem Berge, und die Dunkelheit band uns naͤher zuſammen, da wir, unſere Geſichter kaum ſehend, einander auch beſ¬ ſer zu hoͤren glaubten, wenn wir uns feſt zu¬ ſammenhielten. Das Waſſer rauſchte vertraulich im fernen Thale, hier und da ſahen wir ein mattes Licht auf der dunklen Erde glimmen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0114"n="104"/>
und ſchaͤmte mich dergeſtalt, daß ich ohne zu<lb/>ſprechen den Berg hinanſtuͤrmte und das arme<lb/>
Kind mir beinahe nicht folgen konnte. Sie ließ<lb/>ſich dies nicht anſehen, ſondern ſchritt tapfer aus,<lb/>
und ſobald wir allein waren, fing ſie ganz ge¬<lb/>
laͤufig und ſicher an zu plaudern uͤber die Wege,<lb/>
welche ſie mir zeigen mußte, uͤber das Feld, uͤber<lb/>
den Wald, wem dieſe und jene Parzelle gehoͤre<lb/>
und wie es hier und dort vor wenigen Jahren<lb/>
noch geweſen ſei. Ich wußte wenig zu erwiedern,<lb/>
waͤhrend ich aufmerkſam zuhoͤrte und jedes Wort<lb/>
wie einen Tropfen Muskatwein verſchlang; meine<lb/>
Eile hatte ſchon nachgelaſſen, als wir die Hoͤhe<lb/>
des Berges erreichten und auf ſeiner Ebene ge¬<lb/>
maͤchlich dahingingen. Der funkelnde Sternhim¬<lb/>
mel hing weit gebreitet uͤber dem Lande und<lb/>
doch war es dunkel auf dem Berge, und die<lb/>
Dunkelheit band uns naͤher zuſammen, da wir,<lb/>
unſere Geſichter kaum ſehend, einander auch beſ¬<lb/>ſer zu hoͤren glaubten, wenn wir uns feſt zu¬<lb/>ſammenhielten. Das Waſſer rauſchte vertraulich<lb/>
im fernen Thale, hier und da ſahen wir ein<lb/>
mattes Licht auf der dunklen Erde glimmen,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[104/0114]
und ſchaͤmte mich dergeſtalt, daß ich ohne zu
ſprechen den Berg hinanſtuͤrmte und das arme
Kind mir beinahe nicht folgen konnte. Sie ließ
ſich dies nicht anſehen, ſondern ſchritt tapfer aus,
und ſobald wir allein waren, fing ſie ganz ge¬
laͤufig und ſicher an zu plaudern uͤber die Wege,
welche ſie mir zeigen mußte, uͤber das Feld, uͤber
den Wald, wem dieſe und jene Parzelle gehoͤre
und wie es hier und dort vor wenigen Jahren
noch geweſen ſei. Ich wußte wenig zu erwiedern,
waͤhrend ich aufmerkſam zuhoͤrte und jedes Wort
wie einen Tropfen Muskatwein verſchlang; meine
Eile hatte ſchon nachgelaſſen, als wir die Hoͤhe
des Berges erreichten und auf ſeiner Ebene ge¬
maͤchlich dahingingen. Der funkelnde Sternhim¬
mel hing weit gebreitet uͤber dem Lande und
doch war es dunkel auf dem Berge, und die
Dunkelheit band uns naͤher zuſammen, da wir,
unſere Geſichter kaum ſehend, einander auch beſ¬
ſer zu hoͤren glaubten, wenn wir uns feſt zu¬
ſammenhielten. Das Waſſer rauſchte vertraulich
im fernen Thale, hier und da ſahen wir ein
mattes Licht auf der dunklen Erde glimmen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/114>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.