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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Herz voll Hoffnung und blühenden Weltmuthes
in der Brust. Wäre er ein König dieser Welt
gewesen, so hätte er vermuthlich viele Millionen
"verschleudert", so aber konnte er nichts vergeu¬
den, als das Wenige, was er besaß: seines und
seiner Mutter Leben.

Gegen Mittag fuhr der Postwagen durch ein
großes ansehnliches Dorf, wie sie in der flachern
Schweiz häufig sind, wo Fleiß und Betriebsam¬
keit, im Lichte fröhlicher Aufklärung und unter
oder vielmehr auf den Flügeln der Freiheit, aus
dem schönen Lande nur Eine freie und offene
Stadt erbauen. Weiß und glänzend standen die
Häuser längs der breiten saubern Landstraße,
dehnten sich aber auch in die Runde, mannig¬
faltig durch Baumgärten schimmernd. Auch vor
dem geringsten war ein Blumengärtchen zu sehen
und im ärmsten derselben blühten eine Hyazinthe
oder einige Tulpen hervor, Pflanzen, welche sonst
nur von Vermöglicheren gezogen wurden. Es ist
aber auch nichts so erbaulich, als wenn durch
einen ganzen Landstrich eine fromme Blumen¬
liebe herrscht. Ohne daß die Hausväter im Ge¬

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Herz voll Hoffnung und bluͤhenden Weltmuthes
in der Bruſt. Waͤre er ein Koͤnig dieſer Welt
geweſen, ſo haͤtte er vermuthlich viele Millionen
»verſchleudert«, ſo aber konnte er nichts vergeu¬
den, als das Wenige, was er beſaß: ſeines und
ſeiner Mutter Leben.

Gegen Mittag fuhr der Poſtwagen durch ein
großes anſehnliches Dorf, wie ſie in der flachern
Schweiz haͤufig ſind, wo Fleiß und Betriebſam¬
keit, im Lichte froͤhlicher Aufklaͤrung und unter
oder vielmehr auf den Fluͤgeln der Freiheit, aus
dem ſchoͤnen Lande nur Eine freie und offene
Stadt erbauen. Weiß und glaͤnzend ſtanden die
Haͤuſer laͤngs der breiten ſaubern Landſtraße,
dehnten ſich aber auch in die Runde, mannig¬
faltig durch Baumgaͤrten ſchimmernd. Auch vor
dem geringſten war ein Blumengaͤrtchen zu ſehen
und im aͤrmſten derſelben bluͤhten eine Hyazinthe
oder einige Tulpen hervor, Pflanzen, welche ſonſt
nur von Vermoͤglicheren gezogen wurden. Es iſt
aber auch nichts ſo erbaulich, als wenn durch
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liebe herrſcht. Ohne daß die Hausvaͤter im Ge¬

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[35/0049] Herz voll Hoffnung und bluͤhenden Weltmuthes in der Bruſt. Waͤre er ein Koͤnig dieſer Welt geweſen, ſo haͤtte er vermuthlich viele Millionen »verſchleudert«, ſo aber konnte er nichts vergeu¬ den, als das Wenige, was er beſaß: ſeines und ſeiner Mutter Leben. Gegen Mittag fuhr der Poſtwagen durch ein großes anſehnliches Dorf, wie ſie in der flachern Schweiz haͤufig ſind, wo Fleiß und Betriebſam¬ keit, im Lichte froͤhlicher Aufklaͤrung und unter oder vielmehr auf den Fluͤgeln der Freiheit, aus dem ſchoͤnen Lande nur Eine freie und offene Stadt erbauen. Weiß und glaͤnzend ſtanden die Haͤuſer laͤngs der breiten ſaubern Landſtraße, dehnten ſich aber auch in die Runde, mannig¬ faltig durch Baumgaͤrten ſchimmernd. Auch vor dem geringſten war ein Blumengaͤrtchen zu ſehen und im aͤrmſten derſelben bluͤhten eine Hyazinthe oder einige Tulpen hervor, Pflanzen, welche ſonſt nur von Vermoͤglicheren gezogen wurden. Es iſt aber auch nichts ſo erbaulich, als wenn durch einen ganzen Landſtrich eine fromme Blumen¬ liebe herrſcht. Ohne daß die Hausvaͤter im Ge¬ 3 *

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/49>, abgerufen am 18.04.2024.