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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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freilich, wie viele Leute sagen würden, mehr ein
unbefugter Hochmuth, als eine demüthige Barm¬
herzigkeit; vielleicht aber könnte man auch sagen:
Es ist die königliche Gesinnung eines ursprüng¬
lichen und reinen Menschen, welche, allgemein
verbreitet, die Gesellschaft in eine Republik von
lauter liebevollen und wahrhaft adelich gesinnten
Königen verwandeln würde; es ist die immer¬
währende Erhebung des Herzens, welche nach
der That trachtet; es ist die göttliche Einfalt,
welche nur ein Ja und ein Nein kennt und letz¬
teres verwahrt und verbirgt wie ein schneidendes
Schwert.

Wenigstens fuhr Heinrich wie ein wahrer
König in die helle Welt hinaus. Er war nun
sich selbst überlassen und konnte in den Kreis
seines Geschickes aufnehmen, was sein leichtes
Herz begehrte: und indem er gewissenhaft den
Armen seinen Kreuzer mittheilte, rechnete er die¬
ses zu den seinem Leben nöthigen Ausgaben. Er
dachte übermüthig: Zwei Pfennige sind immer
genug, um den Einen wegzuschenken! und so
trug er wenige Thaler in der Tasche, aber ein

freilich, wie viele Leute ſagen wuͤrden, mehr ein
unbefugter Hochmuth, als eine demuͤthige Barm¬
herzigkeit; vielleicht aber koͤnnte man auch ſagen:
Es iſt die koͤnigliche Geſinnung eines urſpruͤng¬
lichen und reinen Menſchen, welche, allgemein
verbreitet, die Geſellſchaft in eine Republik von
lauter liebevollen und wahrhaft adelich geſinnten
Koͤnigen verwandeln wuͤrde; es iſt die immer¬
waͤhrende Erhebung des Herzens, welche nach
der That trachtet; es iſt die goͤttliche Einfalt,
welche nur ein Ja und ein Nein kennt und letz¬
teres verwahrt und verbirgt wie ein ſchneidendes
Schwert.

Wenigſtens fuhr Heinrich wie ein wahrer
Koͤnig in die helle Welt hinaus. Er war nun
ſich ſelbſt uͤberlaſſen und konnte in den Kreis
ſeines Geſchickes aufnehmen, was ſein leichtes
Herz begehrte: und indem er gewiſſenhaft den
Armen ſeinen Kreuzer mittheilte, rechnete er die¬
ſes zu den ſeinem Leben noͤthigen Ausgaben. Er
dachte uͤbermuͤthig: Zwei Pfennige ſind immer
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[34/0048] freilich, wie viele Leute ſagen wuͤrden, mehr ein unbefugter Hochmuth, als eine demuͤthige Barm¬ herzigkeit; vielleicht aber koͤnnte man auch ſagen: Es iſt die koͤnigliche Geſinnung eines urſpruͤng¬ lichen und reinen Menſchen, welche, allgemein verbreitet, die Geſellſchaft in eine Republik von lauter liebevollen und wahrhaft adelich geſinnten Koͤnigen verwandeln wuͤrde; es iſt die immer¬ waͤhrende Erhebung des Herzens, welche nach der That trachtet; es iſt die goͤttliche Einfalt, welche nur ein Ja und ein Nein kennt und letz¬ teres verwahrt und verbirgt wie ein ſchneidendes Schwert. Wenigſtens fuhr Heinrich wie ein wahrer Koͤnig in die helle Welt hinaus. Er war nun ſich ſelbſt uͤberlaſſen und konnte in den Kreis ſeines Geſchickes aufnehmen, was ſein leichtes Herz begehrte: und indem er gewiſſenhaft den Armen ſeinen Kreuzer mittheilte, rechnete er die¬ ſes zu den ſeinem Leben noͤthigen Ausgaben. Er dachte uͤbermuͤthig: Zwei Pfennige ſind immer genug, um den Einen wegzuſchenken! und ſo trug er wenige Thaler in der Taſche, aber ein

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/48>, abgerufen am 29.03.2024.