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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Ein großes Festmahl, welches einige Tausend
junge und alte Menschen vereinigte, wurde auf
einer blühenden Wiese eingenommen. Beliebte
Jugendfreunde hielten Tischreden und trafen in
denselben das Rechte, indem sie, anstatt uns in
hohlem, frühreifem Ernste zu halten, in reinem
Humor den Ton unschuldiger Fröhlichkeit an¬
stimmten, ihr Alter vergaßen, ohne kindisch zu
thun, und uns dadurch desto leichter lehrten, die
Freude nicht ohne Witz zu genießen. Darauf
zog eine lange Reihe feiner Mädchen aus dem
Thore an uns vorbei auf einen geebneten Rasen¬
platz und lud uns mit Gesang zu Spiel und
Tänzen ein. Sie waren alle weiß und roth ge¬
kleidet und entfalteten sich in der lieblichsten
Blüthe vom kindlichen Lockenkopfe bis zur an¬
gehenden Jungfrau, hinter dem weiten Kranze
ragte manch weibliches Haupt in reifer Schönheit,
um die zarten Pflänzlinge zu überwachen und
bei guter Gelegenheit selbst noch ein bischen
jugendlicher über den Rasen zu schlüpfen, als in
sonstigen Tagen erlaubt war. Hatten doch die
Männer ihrerseits die Gelegenheit auch ersehen

Ein großes Feſtmahl, welches einige Tauſend
junge und alte Menſchen vereinigte, wurde auf
einer bluͤhenden Wieſe eingenommen. Beliebte
Jugendfreunde hielten Tiſchreden und trafen in
denſelben das Rechte, indem ſie, anſtatt uns in
hohlem, fruͤhreifem Ernſte zu halten, in reinem
Humor den Ton unſchuldiger Froͤhlichkeit an¬
ſtimmten, ihr Alter vergaßen, ohne kindiſch zu
thun, und uns dadurch deſto leichter lehrten, die
Freude nicht ohne Witz zu genießen. Darauf
zog eine lange Reihe feiner Maͤdchen aus dem
Thore an uns vorbei auf einen geebneten Raſen¬
platz und lud uns mit Geſang zu Spiel und
Taͤnzen ein. Sie waren alle weiß und roth ge¬
kleidet und entfalteten ſich in der lieblichſten
Bluͤthe vom kindlichen Lockenkopfe bis zur an¬
gehenden Jungfrau, hinter dem weiten Kranze
ragte manch weibliches Haupt in reifer Schoͤnheit,
um die zarten Pflaͤnzlinge zu uͤberwachen und
bei guter Gelegenheit ſelbſt noch ein bischen
jugendlicher uͤber den Raſen zu ſchluͤpfen, als in
ſonſtigen Tagen erlaubt war. Hatten doch die
Maͤnner ihrerſeits die Gelegenheit auch erſehen

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[316/0330] Ein großes Feſtmahl, welches einige Tauſend junge und alte Menſchen vereinigte, wurde auf einer bluͤhenden Wieſe eingenommen. Beliebte Jugendfreunde hielten Tiſchreden und trafen in denſelben das Rechte, indem ſie, anſtatt uns in hohlem, fruͤhreifem Ernſte zu halten, in reinem Humor den Ton unſchuldiger Froͤhlichkeit an¬ ſtimmten, ihr Alter vergaßen, ohne kindiſch zu thun, und uns dadurch deſto leichter lehrten, die Freude nicht ohne Witz zu genießen. Darauf zog eine lange Reihe feiner Maͤdchen aus dem Thore an uns vorbei auf einen geebneten Raſen¬ platz und lud uns mit Geſang zu Spiel und Taͤnzen ein. Sie waren alle weiß und roth ge¬ kleidet und entfalteten ſich in der lieblichſten Bluͤthe vom kindlichen Lockenkopfe bis zur an¬ gehenden Jungfrau, hinter dem weiten Kranze ragte manch weibliches Haupt in reifer Schoͤnheit, um die zarten Pflaͤnzlinge zu uͤberwachen und bei guter Gelegenheit ſelbſt noch ein bischen jugendlicher uͤber den Raſen zu ſchluͤpfen, als in ſonſtigen Tagen erlaubt war. Hatten doch die Maͤnner ihrerſeits die Gelegenheit auch erſehen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/330>, abgerufen am 17.05.2024.