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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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ich überrascht, ich gerieth in die größte Verlegen¬
heit und Aufregung und indem ich die Treppen
hinunterstieg, drangen mir seltener Weise Thrä¬
nen aus den Augen, daß ich sie hinter der Haus¬
thür abtrocknen mußte, ehe ich auf die Straße
trat und zu dem fröhlichen Haufen stieß. Der
allgemeine Jubel hätte in meinem Gemüthe,
welches durch die liebevolle Sorge der Mutter
bewegt war, einen um so empfänglicheren Grund
gefunden, wenn nicht der Thaler in meiner Gi¬
berne wie ein Stein auf meinem Herzen gelegen
hätte. Jedoch als sich die ganze Schaar zusam¬
menfand, das Kommando erklang und wir uns
ordneten und abzogen, wurden meine düstern Ge¬
danken gewaltsam unterdrückt, und als ich, zur
Vorhut eingetheilt, schon auf den freien Höhen
ging unter dem morgenfrischen Himmel, und der
lange Zug, schimmernd und singend, mit wehen¬
den Fahnen, sich zu unsern Füßen heranbewegte,
da vergaß ich Alles und lebte nur dem Augen¬
blicke, welcher, Perle für Perle, von der glänzen¬
den Schnur der nächsten Erwartung fiel. Wir
führten ein lustiges Vorhutleben, ein alter Kriegs¬

ich uͤberraſcht, ich gerieth in die groͤßte Verlegen¬
heit und Aufregung und indem ich die Treppen
hinunterſtieg, drangen mir ſeltener Weiſe Thraͤ¬
nen aus den Augen, daß ich ſie hinter der Haus¬
thuͤr abtrocknen mußte, ehe ich auf die Straße
trat und zu dem froͤhlichen Haufen ſtieß. Der
allgemeine Jubel haͤtte in meinem Gemuͤthe,
welches durch die liebevolle Sorge der Mutter
bewegt war, einen um ſo empfaͤnglicheren Grund
gefunden, wenn nicht der Thaler in meiner Gi¬
berne wie ein Stein auf meinem Herzen gelegen
haͤtte. Jedoch als ſich die ganze Schaar zuſam¬
menfand, das Kommando erklang und wir uns
ordneten und abzogen, wurden meine duͤſtern Ge¬
danken gewaltſam unterdruͤckt, und als ich, zur
Vorhut eingetheilt, ſchon auf den freien Hoͤhen
ging unter dem morgenfriſchen Himmel, und der
lange Zug, ſchimmernd und ſingend, mit wehen¬
den Fahnen, ſich zu unſern Fuͤßen heranbewegte,
da vergaß ich Alles und lebte nur dem Augen¬
blicke, welcher, Perle fuͤr Perle, von der glaͤnzen¬
den Schnur der naͤchſten Erwartung fiel. Wir
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[310/0324] ich uͤberraſcht, ich gerieth in die groͤßte Verlegen¬ heit und Aufregung und indem ich die Treppen hinunterſtieg, drangen mir ſeltener Weiſe Thraͤ¬ nen aus den Augen, daß ich ſie hinter der Haus¬ thuͤr abtrocknen mußte, ehe ich auf die Straße trat und zu dem froͤhlichen Haufen ſtieß. Der allgemeine Jubel haͤtte in meinem Gemuͤthe, welches durch die liebevolle Sorge der Mutter bewegt war, einen um ſo empfaͤnglicheren Grund gefunden, wenn nicht der Thaler in meiner Gi¬ berne wie ein Stein auf meinem Herzen gelegen haͤtte. Jedoch als ſich die ganze Schaar zuſam¬ menfand, das Kommando erklang und wir uns ordneten und abzogen, wurden meine duͤſtern Ge¬ danken gewaltſam unterdruͤckt, und als ich, zur Vorhut eingetheilt, ſchon auf den freien Hoͤhen ging unter dem morgenfriſchen Himmel, und der lange Zug, ſchimmernd und ſingend, mit wehen¬ den Fahnen, ſich zu unſern Fuͤßen heranbewegte, da vergaß ich Alles und lebte nur dem Augen¬ blicke, welcher, Perle fuͤr Perle, von der glaͤnzen¬ den Schnur der naͤchſten Erwartung fiel. Wir fuͤhrten ein luſtiges Vorhutleben, ein alter Kriegs¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 310. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/324>, abgerufen am 25.11.2024.