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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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jetzt in den Hof schien. Gegen Sonnenuntergang
jedoch stieg meine Aufmerksamkeit an den Häu¬
sern in die Höhe und immer höher, je mehr sich
das Meer von Dächern, das ich von unserm Fen¬
ster aus übersah, röthete und vom schönsten
Farbenglanze belebt wurde. Hinter diesen Dächern
war für einmal meine Welt zu Ende; denn den
duftigen Kranz von Schneegebirgen, welcher hin¬
ter den letzten Dachfirsten halb sichtbar ist, hielt
ich, da ich ihn nicht mit der festen Erde ver¬
bunden sah, lange Zeit für Eins mit den Wol¬
ken. Als ich später zum erstenmale rittlings auf
dem obersten Grate unseres hohen, ungeheuerli¬
chen Daches saß und die ganze ausgebreitete
Pracht des See's übersah, aus welchem die Berge
in festen Gestalten, mit grünen Füßen aufstiegen,
da kannte ich freilich ihre Natur schon von aus¬
gedehnteren Streifzügen im Freien; für jetzt aber
konnte mir die Mutter lange sagen, das seien
große Berge und mächtige Zeugen von Gottes
Allmacht, ich konnte und mochte sie darum nicht
von den Wolken unterscheiden, deren Ziehen und
Wechseln mich am Abend fast ausschließlich be¬

jetzt in den Hof ſchien. Gegen Sonnenuntergang
jedoch ſtieg meine Aufmerkſamkeit an den Haͤu¬
ſern in die Hoͤhe und immer hoͤher, je mehr ſich
das Meer von Daͤchern, das ich von unſerm Fen¬
ſter aus uͤberſah, roͤthete und vom ſchoͤnſten
Farbenglanze belebt wurde. Hinter dieſen Daͤchern
war fuͤr einmal meine Welt zu Ende; denn den
duftigen Kranz von Schneegebirgen, welcher hin¬
ter den letzten Dachfirſten halb ſichtbar iſt, hielt
ich, da ich ihn nicht mit der feſten Erde ver¬
bunden ſah, lange Zeit fuͤr Eins mit den Wol¬
ken. Als ich ſpaͤter zum erſtenmale rittlings auf
dem oberſten Grate unſeres hohen, ungeheuerli¬
chen Daches ſaß und die ganze ausgebreitete
Pracht des See's uͤberſah, aus welchem die Berge
in feſten Geſtalten, mit gruͤnen Fuͤßen aufſtiegen,
da kannte ich freilich ihre Natur ſchon von aus¬
gedehnteren Streifzuͤgen im Freien; fuͤr jetzt aber
konnte mir die Mutter lange ſagen, das ſeien
große Berge und maͤchtige Zeugen von Gottes
Allmacht, ich konnte und mochte ſie darum nicht
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[130/0144] jetzt in den Hof ſchien. Gegen Sonnenuntergang jedoch ſtieg meine Aufmerkſamkeit an den Haͤu¬ ſern in die Hoͤhe und immer hoͤher, je mehr ſich das Meer von Daͤchern, das ich von unſerm Fen¬ ſter aus uͤberſah, roͤthete und vom ſchoͤnſten Farbenglanze belebt wurde. Hinter dieſen Daͤchern war fuͤr einmal meine Welt zu Ende; denn den duftigen Kranz von Schneegebirgen, welcher hin¬ ter den letzten Dachfirſten halb ſichtbar iſt, hielt ich, da ich ihn nicht mit der feſten Erde ver¬ bunden ſah, lange Zeit fuͤr Eins mit den Wol¬ ken. Als ich ſpaͤter zum erſtenmale rittlings auf dem oberſten Grate unſeres hohen, ungeheuerli¬ chen Daches ſaß und die ganze ausgebreitete Pracht des See's uͤberſah, aus welchem die Berge in feſten Geſtalten, mit gruͤnen Fuͤßen aufſtiegen, da kannte ich freilich ihre Natur ſchon von aus¬ gedehnteren Streifzuͤgen im Freien; fuͤr jetzt aber konnte mir die Mutter lange ſagen, das ſeien große Berge und maͤchtige Zeugen von Gottes Allmacht, ich konnte und mochte ſie darum nicht von den Wolken unterſcheiden, deren Ziehen und Wechſeln mich am Abend faſt ausſchließlich be¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/144>, abgerufen am 24.11.2024.