in unsrer Stube standen und mit der Mutter plauderten. Unser eigenes Höfchen enthält zwi¬ schen hohen Mauern ein ganz kleines Stückchen Rasen mit zwei Vogelbeerbäumchen; ein nimmer¬ müdes Brünnchen ergießt sich mit ewigem Ge¬ plätscher in ein ganz grün gewordenes Sand¬ steinbecken und der ganze Winkel ist kühl und fast schauerlich, ausgenommen im Sommer, wo die Sonne gegen Abend einige Stunden lang darin ruht. Alsdann schimmert das verborgene Grün durch den dunkeln Hausgang so kokett auf die Gasse, wenn die Hausthür aufgeht, daß den Vorübergehenden immer eine Sehnsucht nach dem Freien befällt. Im Herbste werden diese Sonnen¬ blicke immer kürzer und milder, und wenn dann die Blätter an den zwei Bäumchen gelb und die Beeren brennend roth werden, die alten Mauern so wehmüthig vergoldet sind und das Wässerchen einigen Silberglanz dazu gibt, so hat dieser kleine abgeschiedene Raum einen so wunder¬ bar melancholischen Reiz, daß ich später noch oft aus der schönsten offenen Landschaft nach Hause gelaufen bin, wenn ich wußte, daß die Sonne
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in unſrer Stube ſtanden und mit der Mutter plauderten. Unſer eigenes Hoͤfchen enthaͤlt zwi¬ ſchen hohen Mauern ein ganz kleines Stuͤckchen Raſen mit zwei Vogelbeerbaͤumchen; ein nimmer¬ muͤdes Bruͤnnchen ergießt ſich mit ewigem Ge¬ plaͤtſcher in ein ganz gruͤn gewordenes Sand¬ ſteinbecken und der ganze Winkel iſt kuͤhl und faſt ſchauerlich, ausgenommen im Sommer, wo die Sonne gegen Abend einige Stunden lang darin ruht. Alsdann ſchimmert das verborgene Gruͤn durch den dunkeln Hausgang ſo kokett auf die Gaſſe, wenn die Hausthuͤr aufgeht, daß den Voruͤbergehenden immer eine Sehnſucht nach dem Freien befaͤllt. Im Herbſte werden dieſe Sonnen¬ blicke immer kuͤrzer und milder, und wenn dann die Blaͤtter an den zwei Baͤumchen gelb und die Beeren brennend roth werden, die alten Mauern ſo wehmuͤthig vergoldet ſind und das Waͤſſerchen einigen Silberglanz dazu gibt, ſo hat dieſer kleine abgeſchiedene Raum einen ſo wunder¬ bar melancholiſchen Reiz, daß ich ſpaͤter noch oft aus der ſchoͤnſten offenen Landſchaft nach Hauſe gelaufen bin, wenn ich wußte, daß die Sonne
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in unſrer Stube ſtanden und mit der Mutter
plauderten. Unſer eigenes Hoͤfchen enthaͤlt zwi¬
ſchen hohen Mauern ein ganz kleines Stuͤckchen
Raſen mit zwei Vogelbeerbaͤumchen; ein nimmer¬
muͤdes Bruͤnnchen ergießt ſich mit ewigem Ge¬
plaͤtſcher in ein ganz gruͤn gewordenes Sand¬
ſteinbecken und der ganze Winkel iſt kuͤhl und
faſt ſchauerlich, ausgenommen im Sommer, wo
die Sonne gegen Abend einige Stunden lang
darin ruht. Alsdann ſchimmert das verborgene
Gruͤn durch den dunkeln Hausgang ſo kokett auf
die Gaſſe, wenn die Hausthuͤr aufgeht, daß den
Voruͤbergehenden immer eine Sehnſucht nach dem
Freien befaͤllt. Im Herbſte werden dieſe Sonnen¬
blicke immer kuͤrzer und milder, und wenn dann
die Blaͤtter an den zwei Baͤumchen gelb und
die Beeren brennend roth werden, die alten
Mauern ſo wehmuͤthig vergoldet ſind und das
Waͤſſerchen einigen Silberglanz dazu gibt, ſo hat
dieſer kleine abgeſchiedene Raum einen ſo wunder¬
bar melancholiſchen Reiz, daß ich ſpaͤter noch oft
aus der ſchoͤnſten offenen Landſchaft nach Hauſe
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/143>, abgerufen am 08.05.2024.
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