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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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zahlreiche Nachkommenschaft zersplittert wurde;
wirklich habe ich auch eine Menge entfernter Vet¬
tern, welche ich kaum noch zu unterscheiden weiß,
die, wie die Ameisen krabbelnd, bereits wieder
im Schwunge sind, ein gutes Theil der viel zer¬
hackten und durchfurchten Grundstücke an sich zu
bringen. Ja, einige Alte unter denselben sind in
der Zeit schon wieder reich gewesen und ihre Kin¬
der wieder arm geworden.

Dazumal war es nicht ganz mehr jene er¬
bärmliche Schweiz, wie sie Göthe im Werther¬
schen Nachlasse geschildert hat, und wenn auch
die junge Saat der französischen Ideen durch
einen ungeheueren Schneefall östreichischer, russi¬
scher und selbst französischer Quartierbillets be¬
deckt worden war, so gestattete doch die kluge
Mediations-Verfassung einen gelinden Nachsom¬
mer und verhinderte meinen Vater nicht, die
Kühe, die er weidete, eines Morgens stehen zu
lassen und, einem höheren Triebe folgend, nach
der Stadt zu gehen, um ein gutes Handwerk zu
erlernen. Von da an verscholl er so ziemlich für
seine Mitbürger; denn nach langen und harten,

zahlreiche Nachkommenſchaft zerſplittert wurde;
wirklich habe ich auch eine Menge entfernter Vet¬
tern, welche ich kaum noch zu unterſcheiden weiß,
die, wie die Ameiſen krabbelnd, bereits wieder
im Schwunge ſind, ein gutes Theil der viel zer¬
hackten und durchfurchten Grundſtuͤcke an ſich zu
bringen. Ja, einige Alte unter denſelben ſind in
der Zeit ſchon wieder reich geweſen und ihre Kin¬
der wieder arm geworden.

Dazumal war es nicht ganz mehr jene er¬
baͤrmliche Schweiz, wie ſie Goͤthe im Werther¬
ſchen Nachlaſſe geſchildert hat, und wenn auch
die junge Saat der franzoͤſiſchen Ideen durch
einen ungeheueren Schneefall oͤſtreichiſcher, ruſſi¬
ſcher und ſelbſt franzoͤſiſcher Quartierbillets be¬
deckt worden war, ſo geſtattete doch die kluge
Mediations-Verfaſſung einen gelinden Nachſom¬
mer und verhinderte meinen Vater nicht, die
Kuͤhe, die er weidete, eines Morgens ſtehen zu
laſſen und, einem hoͤheren Triebe folgend, nach
der Stadt zu gehen, um ein gutes Handwerk zu
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[96/0110] zahlreiche Nachkommenſchaft zerſplittert wurde; wirklich habe ich auch eine Menge entfernter Vet¬ tern, welche ich kaum noch zu unterſcheiden weiß, die, wie die Ameiſen krabbelnd, bereits wieder im Schwunge ſind, ein gutes Theil der viel zer¬ hackten und durchfurchten Grundſtuͤcke an ſich zu bringen. Ja, einige Alte unter denſelben ſind in der Zeit ſchon wieder reich geweſen und ihre Kin¬ der wieder arm geworden. Dazumal war es nicht ganz mehr jene er¬ baͤrmliche Schweiz, wie ſie Goͤthe im Werther¬ ſchen Nachlaſſe geſchildert hat, und wenn auch die junge Saat der franzoͤſiſchen Ideen durch einen ungeheueren Schneefall oͤſtreichiſcher, ruſſi¬ ſcher und ſelbſt franzoͤſiſcher Quartierbillets be¬ deckt worden war, ſo geſtattete doch die kluge Mediations-Verfaſſung einen gelinden Nachſom¬ mer und verhinderte meinen Vater nicht, die Kuͤhe, die er weidete, eines Morgens ſtehen zu laſſen und, einem hoͤheren Triebe folgend, nach der Stadt zu gehen, um ein gutes Handwerk zu erlernen. Von da an verſcholl er ſo ziemlich fuͤr ſeine Mitbuͤrger; denn nach langen und harten,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/110>, abgerufen am 08.05.2024.