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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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nigen, welche nach seiner Lebensweise für ihn
wirkliche Tugenden sind, und was die Missethaten
betrifft, so hat der Bauer so gut Ursache, wie
der Vornehme, die seiner Väter in Vergessenheit
begraben zu wünschen; denn er ist zuweilen eine
so wüste und wilde Bestie, wie manches andere
Menschenkind.

Ein großes rundes Gebiet von Feld und
Wald bildet ein reiches unverwüstliches Ver¬
mögen der Bewohner; doch ist es eigentlich nicht
ganz rund, indem mancher mächtige Acker, manche
Zelle Laub- und Nadelholz jenseits der Hügel
hinunter kühn und naseweis in das Gebiet ande¬
rer Gemeinden eingreift, während jene sich gele¬
gentlich durch die glückliche und listige Erwerbung
eines diesseitigen Gränzstückes rächen und daher
das Ganze einen so zerfetzten Rand hat, wie ein
Bettlermantel. Dieser Reichthum blieb sich von
je her so ziemlich gleich; wenn auch hie und da
eine Braut einen Theil verschleppt, so unterneh¬
men die jungen Bursche dafür häufige Raubzüge
bis auf acht Stunden weit und sorgen für hin¬
länglichen Ersatz, so wie dafür, daß die Gemüths¬

nigen, welche nach ſeiner Lebensweiſe fuͤr ihn
wirkliche Tugenden ſind, und was die Miſſethaten
betrifft, ſo hat der Bauer ſo gut Urſache, wie
der Vornehme, die ſeiner Vaͤter in Vergeſſenheit
begraben zu wuͤnſchen; denn er iſt zuweilen eine
ſo wuͤſte und wilde Beſtie, wie manches andere
Menſchenkind.

Ein großes rundes Gebiet von Feld und
Wald bildet ein reiches unverwuͤſtliches Ver¬
moͤgen der Bewohner; doch iſt es eigentlich nicht
ganz rund, indem mancher maͤchtige Acker, manche
Zelle Laub- und Nadelholz jenſeits der Huͤgel
hinunter kuͤhn und naſeweis in das Gebiet ande¬
rer Gemeinden eingreift, waͤhrend jene ſich gele¬
gentlich durch die gluͤckliche und liſtige Erwerbung
eines dieſſeitigen Graͤnzſtuͤckes raͤchen und daher
das Ganze einen ſo zerfetzten Rand hat, wie ein
Bettlermantel. Dieſer Reichthum blieb ſich von
je her ſo ziemlich gleich; wenn auch hie und da
eine Braut einen Theil verſchleppt, ſo unterneh¬
men die jungen Burſche dafuͤr haͤufige Raubzuͤge
bis auf acht Stunden weit und ſorgen fuͤr hin¬
laͤnglichen Erſatz, ſo wie dafuͤr, daß die Gemuͤths¬

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[94/0108] nigen, welche nach ſeiner Lebensweiſe fuͤr ihn wirkliche Tugenden ſind, und was die Miſſethaten betrifft, ſo hat der Bauer ſo gut Urſache, wie der Vornehme, die ſeiner Vaͤter in Vergeſſenheit begraben zu wuͤnſchen; denn er iſt zuweilen eine ſo wuͤſte und wilde Beſtie, wie manches andere Menſchenkind. Ein großes rundes Gebiet von Feld und Wald bildet ein reiches unverwuͤſtliches Ver¬ moͤgen der Bewohner; doch iſt es eigentlich nicht ganz rund, indem mancher maͤchtige Acker, manche Zelle Laub- und Nadelholz jenſeits der Huͤgel hinunter kuͤhn und naſeweis in das Gebiet ande¬ rer Gemeinden eingreift, waͤhrend jene ſich gele¬ gentlich durch die gluͤckliche und liſtige Erwerbung eines dieſſeitigen Graͤnzſtuͤckes raͤchen und daher das Ganze einen ſo zerfetzten Rand hat, wie ein Bettlermantel. Dieſer Reichthum blieb ſich von je her ſo ziemlich gleich; wenn auch hie und da eine Braut einen Theil verſchleppt, ſo unterneh¬ men die jungen Burſche dafuͤr haͤufige Raubzuͤge bis auf acht Stunden weit und ſorgen fuͤr hin¬ laͤnglichen Erſatz, ſo wie dafuͤr, daß die Gemuͤths¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/108>, abgerufen am 22.11.2024.