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Kautsky, Karl; Schönlank, Bruno: Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. 4. Aufl. Berlin, 1907.

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Das Ziel der Sozialdemokratie ist nicht ein willkürlich gesetztes, nicht das
Ergebnis frommer Wünsche und ausschweifender Träumereien, wie man gerne
behauptet. Jhr Ziel ist das von ihren Denkern erkannte Endziel der vor
unseren Augen vor sich, gehenden ökonomischen Entwickelung. Nur wer diese be-
greift, begreift die Sozialdemokratie. Nicht in den Wolken wurzelt sie, sondern
im festen Boden der Gegenwart. Wer die Sozialdemokratie widerlegen will,
muß die heutige Wirklichkeit widerlegen. Da das unseren Gegnern unmöglich
ist, ziehen sie es vor, in der Luft herumzufechten und uns zu widerlegen auf
Grund dessen, was sich ereignen könnte, möchte, dürfte.1)

Wer unseren Standpunkt begriffen hat, für den ist es klar, daß es unmöglich
ist, vorauszusagen, wie die sozialistische Wirtschaftsgenossenschaft aussehen wird.
Sie wird nicht fix und fertig am Tage nach der Revolution dastehen, sondern das
Produkt einer Entwickelung sein. Sie selbst wird in steter Entwickelung begriffen
sein, wird neue Fragen, neue Probleme aus sich erzeugen. Darüber mögen sich
unsere Kinder und Kindeskinder den Kopf zerbrechen - und die sozialpolitischen
Kinder von heute.

Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es nicht, der Entwickelung ihren Weg
vorzuschreiben; sie hat nur die Hindernisse der Entwickelung zu beseitigen; sie hat
die Bahn frei zu machen für die Entwickelung der sozialistischen Gesellschaft, sie
hat nicht diese künstlich zu fabrizieren.

Das Proletariat aber wird der Hebel sein, der die alte Gesellschaft aus den
Angeln hebt und das mächtigste Hindernis jeder weiteren gesellschaftlichen Ent-
wickelung, die politische Macht der besitzenden Klassen, aus dem Wege räumt.
Das Proletariat zu heben, es in seinen Klassenkämpfen zu unterstützen, seine
Kraft und Einsicht zu vermehren, ebenso aber auch die ihm nahestehenden ar-
beitenden Klassen, Handwerker und Bauern, über ihre wahren Jnteressen auf-
zuklären, jeder Ausbeutung, jeder Unterdrückung, in welcher Form immer sie
auftreten mögen, entschieden entgegenzutreten: Das, und nicht das Ausarbeiten
von Plänen des Zukunftsstaates, ist die Aufgabe der Sozialdemokratie.

Die Sozialdemokratie ist die von dem Bewußtsein
der geschichtlichen Aufgaben des Proletariats erfüllte
Arbeiterpartei
. Die Arbeiterpartei eines jeden Landes muß umsomehr
sich mit sozialistischem Geist erfüllen, je weiter ihr Gesichtskreis wird, je mehr
ihre Einsicht in den Gang der ökonomischen Entwickelung wächst. Die deutsche
Arbeiterpartei ist von vornherein eine sozialdemokratische Partei gewesen, dank
dem wissenschaftlichen Sinn der deutschen Arbeiterklasse und der wissenschaftlichen
Bedeutung ihrer Lehrer.

Wo die Arbeiterpartei zur Sozialdemokratie geworden ist, da hört die Ar-
beiterklasse auf, sich nur von Augenblickseindrücken lenken zu lassen: sie wird sich
klar, ihres Zieles bewußt und formt auch ihm nächsten Aufgaben und Forde-
rungen demselben entsprechend. Sie hört auf, in der Jrre herumzuwandern, auf
Umwegen, mit Verschwendung von Zeit und Kraft unbewußt ihrem Ziele ent-
gegenzutreiben, sie marschiert ihm entgegen, ohne Aufenthalt, ohne unnötigen
Kraftverlust auf dem kürzesten gangbaren Wege. Mit dem Kopf durch die
Wand zu rennen versucht sie freilich nicht, wenn das auch als der kürzeste Weg
erscheinen mag.

1) Auf die zahlreichen Entstellungen, welche die sozialistischen Lehren erfahren haben,
kann hier nicht eingegangen werden. Die verbreitetsten Jrrtümer in dieser Richtung hat
der Verfasser vorliegender Schrift besprochen in einer ausführlicheren Arbeit über denselben
Gegenstand, den er hier behandelt, in seinem Büchlein über: Das Erfurter Pro-
gramm
, Stuttgart, Dietz Nachf., sowie in der Broschüre: Die Vernichtung der
Sozialdemokratie
durch den Gelehrten des Zentralverbandes deutscher Jn
dustrieller. Berlin, Buchhandlung Vorwärts, worauf wir diejenigen verweisen, die sich
eingehender mit den hier berührten Fragen beschäftigen wollen.

Das Ziel der Sozialdemokratie ist nicht ein willkürlich gesetztes, nicht das
Ergebnis frommer Wünsche und ausschweifender Träumereien, wie man gerne
behauptet. Jhr Ziel ist das von ihren Denkern erkannte Endziel der vor
unseren Augen vor sich, gehenden ökonomischen Entwickelung. Nur wer diese be-
greift, begreift die Sozialdemokratie. Nicht in den Wolken wurzelt sie, sondern
im festen Boden der Gegenwart. Wer die Sozialdemokratie widerlegen will,
muß die heutige Wirklichkeit widerlegen. Da das unseren Gegnern unmöglich
ist, ziehen sie es vor, in der Luft herumzufechten und uns zu widerlegen auf
Grund dessen, was sich ereignen könnte, möchte, dürfte.1)

Wer unseren Standpunkt begriffen hat, für den ist es klar, daß es unmöglich
ist, vorauszusagen, wie die sozialistische Wirtschaftsgenossenschaft aussehen wird.
Sie wird nicht fix und fertig am Tage nach der Revolution dastehen, sondern das
Produkt einer Entwickelung sein. Sie selbst wird in steter Entwickelung begriffen
sein, wird neue Fragen, neue Probleme aus sich erzeugen. Darüber mögen sich
unsere Kinder und Kindeskinder den Kopf zerbrechen – und die sozialpolitischen
Kinder von heute.

Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es nicht, der Entwickelung ihren Weg
vorzuschreiben; sie hat nur die Hindernisse der Entwickelung zu beseitigen; sie hat
die Bahn frei zu machen für die Entwickelung der sozialistischen Gesellschaft, sie
hat nicht diese künstlich zu fabrizieren.

Das Proletariat aber wird der Hebel sein, der die alte Gesellschaft aus den
Angeln hebt und das mächtigste Hindernis jeder weiteren gesellschaftlichen Ent-
wickelung, die politische Macht der besitzenden Klassen, aus dem Wege räumt.
Das Proletariat zu heben, es in seinen Klassenkämpfen zu unterstützen, seine
Kraft und Einsicht zu vermehren, ebenso aber auch die ihm nahestehenden ar-
beitenden Klassen, Handwerker und Bauern, über ihre wahren Jnteressen auf-
zuklären, jeder Ausbeutung, jeder Unterdrückung, in welcher Form immer sie
auftreten mögen, entschieden entgegenzutreten: Das, und nicht das Ausarbeiten
von Plänen des Zukunftsstaates, ist die Aufgabe der Sozialdemokratie.

Die Sozialdemokratie ist die von dem Bewußtsein
der geschichtlichen Aufgaben des Proletariats erfüllte
Arbeiterpartei
. Die Arbeiterpartei eines jeden Landes muß umsomehr
sich mit sozialistischem Geist erfüllen, je weiter ihr Gesichtskreis wird, je mehr
ihre Einsicht in den Gang der ökonomischen Entwickelung wächst. Die deutsche
Arbeiterpartei ist von vornherein eine sozialdemokratische Partei gewesen, dank
dem wissenschaftlichen Sinn der deutschen Arbeiterklasse und der wissenschaftlichen
Bedeutung ihrer Lehrer.

Wo die Arbeiterpartei zur Sozialdemokratie geworden ist, da hört die Ar-
beiterklasse auf, sich nur von Augenblickseindrücken lenken zu lassen: sie wird sich
klar, ihres Zieles bewußt und formt auch ihm nächsten Aufgaben und Forde-
rungen demselben entsprechend. Sie hört auf, in der Jrre herumzuwandern, auf
Umwegen, mit Verschwendung von Zeit und Kraft unbewußt ihrem Ziele ent-
gegenzutreiben, sie marschiert ihm entgegen, ohne Aufenthalt, ohne unnötigen
Kraftverlust auf dem kürzesten gangbaren Wege. Mit dem Kopf durch die
Wand zu rennen versucht sie freilich nicht, wenn das auch als der kürzeste Weg
erscheinen mag.

1) Auf die zahlreichen Entstellungen, welche die sozialistischen Lehren erfahren haben,
kann hier nicht eingegangen werden. Die verbreitetsten Jrrtümer in dieser Richtung hat
der Verfasser vorliegender Schrift besprochen in einer ausführlicheren Arbeit über denselben
Gegenstand, den er hier behandelt, in seinem Büchlein über: Das Erfurter Pro-
gramm
, Stuttgart, Dietz Nachf., sowie in der Broschüre: Die Vernichtung der
Sozialdemokratie
durch den Gelehrten des Zentralverbandes deutscher Jn
dustrieller. Berlin, Buchhandlung Vorwärts, worauf wir diejenigen verweisen, die sich
eingehender mit den hier berührten Fragen beschäftigen wollen.
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[26/0028] Das Ziel der Sozialdemokratie ist nicht ein willkürlich gesetztes, nicht das Ergebnis frommer Wünsche und ausschweifender Träumereien, wie man gerne behauptet. Jhr Ziel ist das von ihren Denkern erkannte Endziel der vor unseren Augen vor sich, gehenden ökonomischen Entwickelung. Nur wer diese be- greift, begreift die Sozialdemokratie. Nicht in den Wolken wurzelt sie, sondern im festen Boden der Gegenwart. Wer die Sozialdemokratie widerlegen will, muß die heutige Wirklichkeit widerlegen. Da das unseren Gegnern unmöglich ist, ziehen sie es vor, in der Luft herumzufechten und uns zu widerlegen auf Grund dessen, was sich ereignen könnte, möchte, dürfte. 1) Wer unseren Standpunkt begriffen hat, für den ist es klar, daß es unmöglich ist, vorauszusagen, wie die sozialistische Wirtschaftsgenossenschaft aussehen wird. Sie wird nicht fix und fertig am Tage nach der Revolution dastehen, sondern das Produkt einer Entwickelung sein. Sie selbst wird in steter Entwickelung begriffen sein, wird neue Fragen, neue Probleme aus sich erzeugen. Darüber mögen sich unsere Kinder und Kindeskinder den Kopf zerbrechen – und die sozialpolitischen Kinder von heute. Die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es nicht, der Entwickelung ihren Weg vorzuschreiben; sie hat nur die Hindernisse der Entwickelung zu beseitigen; sie hat die Bahn frei zu machen für die Entwickelung der sozialistischen Gesellschaft, sie hat nicht diese künstlich zu fabrizieren. Das Proletariat aber wird der Hebel sein, der die alte Gesellschaft aus den Angeln hebt und das mächtigste Hindernis jeder weiteren gesellschaftlichen Ent- wickelung, die politische Macht der besitzenden Klassen, aus dem Wege räumt. Das Proletariat zu heben, es in seinen Klassenkämpfen zu unterstützen, seine Kraft und Einsicht zu vermehren, ebenso aber auch die ihm nahestehenden ar- beitenden Klassen, Handwerker und Bauern, über ihre wahren Jnteressen auf- zuklären, jeder Ausbeutung, jeder Unterdrückung, in welcher Form immer sie auftreten mögen, entschieden entgegenzutreten: Das, und nicht das Ausarbeiten von Plänen des Zukunftsstaates, ist die Aufgabe der Sozialdemokratie. Die Sozialdemokratie ist die von dem Bewußtsein der geschichtlichen Aufgaben des Proletariats erfüllte Arbeiterpartei. Die Arbeiterpartei eines jeden Landes muß umsomehr sich mit sozialistischem Geist erfüllen, je weiter ihr Gesichtskreis wird, je mehr ihre Einsicht in den Gang der ökonomischen Entwickelung wächst. Die deutsche Arbeiterpartei ist von vornherein eine sozialdemokratische Partei gewesen, dank dem wissenschaftlichen Sinn der deutschen Arbeiterklasse und der wissenschaftlichen Bedeutung ihrer Lehrer. Wo die Arbeiterpartei zur Sozialdemokratie geworden ist, da hört die Ar- beiterklasse auf, sich nur von Augenblickseindrücken lenken zu lassen: sie wird sich klar, ihres Zieles bewußt und formt auch ihm nächsten Aufgaben und Forde- rungen demselben entsprechend. Sie hört auf, in der Jrre herumzuwandern, auf Umwegen, mit Verschwendung von Zeit und Kraft unbewußt ihrem Ziele ent- gegenzutreiben, sie marschiert ihm entgegen, ohne Aufenthalt, ohne unnötigen Kraftverlust auf dem kürzesten gangbaren Wege. Mit dem Kopf durch die Wand zu rennen versucht sie freilich nicht, wenn das auch als der kürzeste Weg erscheinen mag. 1) Auf die zahlreichen Entstellungen, welche die sozialistischen Lehren erfahren haben, kann hier nicht eingegangen werden. Die verbreitetsten Jrrtümer in dieser Richtung hat der Verfasser vorliegender Schrift besprochen in einer ausführlicheren Arbeit über denselben Gegenstand, den er hier behandelt, in seinem Büchlein über: Das Erfurter Pro- gramm, Stuttgart, Dietz Nachf., sowie in der Broschüre: Die Vernichtung der Sozialdemokratie durch den Gelehrten des Zentralverbandes deutscher Jn dustrieller. Berlin, Buchhandlung Vorwärts, worauf wir diejenigen verweisen, die sich eingehender mit den hier berührten Fragen beschäftigen wollen.

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Zitationshilfe: Kautsky, Karl; Schönlank, Bruno: Grundsätze und Forderungen der Sozialdemokratie. 4. Aufl. Berlin, 1907, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kautsky_grundsaetze_1907/28>, abgerufen am 22.11.2024.