Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.Dich stille Gottheit prediget der Glanz, Der über uns in Feuermeeren brennet, Der weite Raum -- du übersiehst ihn ganz, Und du erfüllst den Himmel, der dich nennet Er nennet dich, du namenlose Macht! Von dir erzählt der Morgen aller Tage: Und still erscheint die strahlenlose Nacht Daß sie dein Lob mit tausend Sternen sage. Ich höre sie und denk an jene Nacht, In der ich lag, da du mich werden hießest; Auf deinen Wink ward ich hervorgebracht. Ich lebe noch, weil du mich leben ließest. Dein war der Tag, der meine Kindheit sah, Dein waren sie, die andern die ich zählte, Vor deinen Blick steht schon mein letzter da, Den deine Wahl zum Sterbetage wählte. Der Sterbliche, oft deiner Huld nicht werth, Erhält von dir den Bissen, den er isset. Du giebst das Glück, das jedem wiederfährt, In einem Maaß, das deine Weisheit misset. Dem giebst du viel des innerlichen Lichts; Und jenem viel von Gütern dieser Erde; Der häuft das Gold, und Tausenden gebrichts. Doch keiner lebt, der nicht gesättigt werde. Oft ist um mich der Sorgen Mitternacht Wenn ich erwacht gewaltig hergezogen, Und reich an Gram, hat dann mein Herz gedacht, Du hättest mir nur Elend zugewogen. Doch du befahlst, und schnell verflog die Noth, Wie über uns die Wetterwolken fliehen, Dich ſtille Gottheit prediget der Glanz, Der uͤber uns in Feuermeeren brennet, Der weite Raum — du uͤberſiehſt ihn ganz, Und du erfuͤllſt den Himmel, der dich nennet Er nennet dich, du namenloſe Macht! Von dir erzaͤhlt der Morgen aller Tage: Und ſtill erſcheint die ſtrahlenloſe Nacht Daß ſie dein Lob mit tauſend Sternen ſage. Ich hoͤre ſie und denk an jene Nacht, In der ich lag, da du mich werden hießeſt; Auf deinen Wink ward ich hervorgebracht. Ich lebe noch, weil du mich leben ließeſt. Dein war der Tag, der meine Kindheit ſah, Dein waren ſie, die andern die ich zaͤhlte, Vor deinen Blick ſteht ſchon mein letzter da, Den deine Wahl zum Sterbetage waͤhlte. Der Sterbliche, oft deiner Huld nicht werth, Erhaͤlt von dir den Biſſen, den er iſſet. Du giebſt das Gluͤck, das jedem wiederfaͤhrt, In einem Maaß, das deine Weisheit miſſet. Dem giebſt du viel des innerlichen Lichts; Und jenem viel von Guͤtern dieſer Erde; Der haͤuft das Gold, und Tauſenden gebrichts. Doch keiner lebt, der nicht geſaͤttigt werde. Oft iſt um mich der Sorgen Mitternacht Wenn ich erwacht gewaltig hergezogen, Und reich an Gram, hat dann mein Herz gedacht, Du haͤtteſt mir nur Elend zugewogen. Doch du befahlſt, und ſchnell verflog die Noth, Wie uͤber uns die Wetterwolken fliehen, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0551" n="391"/> <lg n="8"> <l>Dich ſtille Gottheit prediget der Glanz,</l><lb/> <l>Der uͤber uns in Feuermeeren brennet,</l><lb/> <l>Der weite Raum — du uͤberſiehſt ihn ganz,</l><lb/> <l>Und du erfuͤllſt den Himmel, der dich nennet</l><lb/> <l>Er nennet dich, du namenloſe Macht!</l><lb/> <l>Von dir erzaͤhlt der Morgen aller Tage:</l><lb/> <l>Und ſtill erſcheint die ſtrahlenloſe Nacht</l><lb/> <l>Daß ſie dein Lob mit tauſend Sternen ſage.</l> </lg><lb/> <lg n="9"> <l>Ich hoͤre ſie und denk an jene Nacht,</l><lb/> <l>In der ich lag, da du mich werden hießeſt;</l><lb/> <l>Auf deinen Wink ward ich hervorgebracht.</l><lb/> <l>Ich lebe noch, weil du mich leben ließeſt.</l><lb/> <l>Dein war der Tag, der meine Kindheit ſah,</l><lb/> <l>Dein waren ſie, die andern die ich zaͤhlte,</l><lb/> <l>Vor deinen Blick ſteht ſchon mein letzter da,</l><lb/> <l>Den deine Wahl zum Sterbetage waͤhlte.</l> </lg><lb/> <lg n="10"> <l>Der Sterbliche, oft deiner Huld nicht werth,</l><lb/> <l>Erhaͤlt von dir den Biſſen, den er iſſet.</l><lb/> <l>Du giebſt das Gluͤck, das jedem wiederfaͤhrt,</l><lb/> <l>In einem Maaß, das deine Weisheit miſſet.</l><lb/> <l>Dem giebſt du viel des innerlichen Lichts;</l><lb/> <l>Und jenem viel von Guͤtern dieſer Erde;</l><lb/> <l>Der haͤuft das Gold, und Tauſenden gebrichts.</l><lb/> <l>Doch keiner lebt, der nicht geſaͤttigt werde.</l> </lg><lb/> <lg n="11"> <l>Oft iſt um mich der Sorgen Mitternacht</l><lb/> <l>Wenn ich erwacht gewaltig hergezogen,</l><lb/> <l>Und reich an Gram, hat dann mein Herz gedacht,</l><lb/> <l>Du haͤtteſt mir nur Elend zugewogen.</l><lb/> <l>Doch du befahlſt, und ſchnell verflog die Noth,</l><lb/> <l>Wie uͤber uns die Wetterwolken fliehen,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [391/0551]
Dich ſtille Gottheit prediget der Glanz,
Der uͤber uns in Feuermeeren brennet,
Der weite Raum — du uͤberſiehſt ihn ganz,
Und du erfuͤllſt den Himmel, der dich nennet
Er nennet dich, du namenloſe Macht!
Von dir erzaͤhlt der Morgen aller Tage:
Und ſtill erſcheint die ſtrahlenloſe Nacht
Daß ſie dein Lob mit tauſend Sternen ſage.
Ich hoͤre ſie und denk an jene Nacht,
In der ich lag, da du mich werden hießeſt;
Auf deinen Wink ward ich hervorgebracht.
Ich lebe noch, weil du mich leben ließeſt.
Dein war der Tag, der meine Kindheit ſah,
Dein waren ſie, die andern die ich zaͤhlte,
Vor deinen Blick ſteht ſchon mein letzter da,
Den deine Wahl zum Sterbetage waͤhlte.
Der Sterbliche, oft deiner Huld nicht werth,
Erhaͤlt von dir den Biſſen, den er iſſet.
Du giebſt das Gluͤck, das jedem wiederfaͤhrt,
In einem Maaß, das deine Weisheit miſſet.
Dem giebſt du viel des innerlichen Lichts;
Und jenem viel von Guͤtern dieſer Erde;
Der haͤuft das Gold, und Tauſenden gebrichts.
Doch keiner lebt, der nicht geſaͤttigt werde.
Oft iſt um mich der Sorgen Mitternacht
Wenn ich erwacht gewaltig hergezogen,
Und reich an Gram, hat dann mein Herz gedacht,
Du haͤtteſt mir nur Elend zugewogen.
Doch du befahlſt, und ſchnell verflog die Noth,
Wie uͤber uns die Wetterwolken fliehen,
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Zitationshilfe: | Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 391. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/551>, abgerufen am 27.07.2024. |