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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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freudig und stark. Noch immer blieb sie halbe Tage
an den Schreibtisch gefesselt, und ging die übrige Zeit
in die kleinen Zirkel ihrer liebsten Freunde. Mehren-
theils kam sie durch die Zerstreuung ermuntert und
gestärkt nach Hause. Jeden, den sie sprach, Alle, an
welche sie schrieb, wurden von ihr gebeten, daß sie
kommen möchten, ihr niedliches Haus zu beschauen;
und die feurigsten Glückwünsche von Freunden, von
Auswärtigen und Einheimischen, wurden ihr darüber
gesagt und zugesandt. Ihr Ruhm gewann dadurch
noch einen abendlichen Strahl, sie wurde von neuem
bemerkt, weil sie glücklicher zu seyn schien.

Jetzt dachte sie ihre Ehrenrolle ausgespielt zu haben,
als ihr noch eine besonders vorzügliche Begebenheit wie-
derfuhr. Es war im Sommer 1790, als eines Nach-
mittags ein Bedienter eine Karte brachte, auf welche
einer der edelmüthigsten Grafen (welchen Deutschland
als Soldat und Schriftsteller kennt) die Einladung
geschrieben hatte: "daß die große Dichterin Karschin
am andern Morgen bei dem Hofjäger im Thiergarten
auf ein Dejeuner erscheinen möchte, woselbst Ihro
Königl. Hoheiten, der Prinz Ferdinandsche Hof sich
gegenwärtig befinden würden." Wer die Hoheit die-
ses mit den Ersten Thronen der Welt so nahe ver-
wandten Hauses messen mag, der wird es empfinden
können, wie die Ehre einer solchen Einladung auf die

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freudig und ſtark. Noch immer blieb ſie halbe Tage
an den Schreibtiſch gefeſſelt, und ging die uͤbrige Zeit
in die kleinen Zirkel ihrer liebſten Freunde. Mehren-
theils kam ſie durch die Zerſtreuung ermuntert und
geſtaͤrkt nach Hauſe. Jeden, den ſie ſprach, Alle, an
welche ſie ſchrieb, wurden von ihr gebeten, daß ſie
kommen moͤchten, ihr niedliches Haus zu beſchauen;
und die feurigſten Gluͤckwuͤnſche von Freunden, von
Auswaͤrtigen und Einheimiſchen, wurden ihr daruͤber
geſagt und zugeſandt. Ihr Ruhm gewann dadurch
noch einen abendlichen Strahl, ſie wurde von neuem
bemerkt, weil ſie gluͤcklicher zu ſeyn ſchien.

Jetzt dachte ſie ihre Ehrenrolle ausgeſpielt zu haben,
als ihr noch eine beſonders vorzuͤgliche Begebenheit wie-
derfuhr. Es war im Sommer 1790, als eines Nach-
mittags ein Bedienter eine Karte brachte, auf welche
einer der edelmuͤthigſten Grafen (welchen Deutſchland
als Soldat und Schriftſteller kennt) die Einladung
geſchrieben hatte: „daß die große Dichterin Karſchin
am andern Morgen bei dem Hofjaͤger im Thiergarten
auf ein Dejeuner erſcheinen moͤchte, woſelbſt Ihro
Koͤnigl. Hoheiten, der Prinz Ferdinandſche Hof ſich
gegenwaͤrtig befinden wuͤrden.“ Wer die Hoheit die-
ſes mit den Erſten Thronen der Welt ſo nahe ver-
wandten Hauſes meſſen mag, der wird es empfinden
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[119/0151] freudig und ſtark. Noch immer blieb ſie halbe Tage an den Schreibtiſch gefeſſelt, und ging die uͤbrige Zeit in die kleinen Zirkel ihrer liebſten Freunde. Mehren- theils kam ſie durch die Zerſtreuung ermuntert und geſtaͤrkt nach Hauſe. Jeden, den ſie ſprach, Alle, an welche ſie ſchrieb, wurden von ihr gebeten, daß ſie kommen moͤchten, ihr niedliches Haus zu beſchauen; und die feurigſten Gluͤckwuͤnſche von Freunden, von Auswaͤrtigen und Einheimiſchen, wurden ihr daruͤber geſagt und zugeſandt. Ihr Ruhm gewann dadurch noch einen abendlichen Strahl, ſie wurde von neuem bemerkt, weil ſie gluͤcklicher zu ſeyn ſchien. Jetzt dachte ſie ihre Ehrenrolle ausgeſpielt zu haben, als ihr noch eine beſonders vorzuͤgliche Begebenheit wie- derfuhr. Es war im Sommer 1790, als eines Nach- mittags ein Bedienter eine Karte brachte, auf welche einer der edelmuͤthigſten Grafen (welchen Deutſchland als Soldat und Schriftſteller kennt) die Einladung geſchrieben hatte: „daß die große Dichterin Karſchin am andern Morgen bei dem Hofjaͤger im Thiergarten auf ein Dejeuner erſcheinen moͤchte, woſelbſt Ihro Koͤnigl. Hoheiten, der Prinz Ferdinandſche Hof ſich gegenwaͤrtig befinden wuͤrden.“ Wer die Hoheit die- ſes mit den Erſten Thronen der Welt ſo nahe ver- wandten Hauſes meſſen mag, der wird es empfinden koͤnnen, wie die Ehre einer ſolchen Einladung auf die h 4

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/151>, abgerufen am 28.04.2024.