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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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immer mehr zu mangeln anfing, je allmähliger der
neue, vermehrte Druck ihrer Sorgen den erhabenen
Fittig ihres Geistes wieder herabsenkte. Man hatte
Geduld und Nachsicht mit ihr, man wünschte sie glück-
lich zu sehen, und zeigte unermüdet, daß sie Freunde
und Wohlwoller hatte.

Als sie noch in der Bastillenkammer wohnte, war
der Baron von Kottwitz gestorben, und ihr Sohn kam
von Boyadel zu ihr zurück. Diese neue Last mit ei-
nem noch unerzogenen Knaben machte ihr großen Kum-
mer, besonders da sie schon ihren Bruder zu ernähren
hatte. Sie erleichterte aber ihr Herz durch die Gabe
der offenherzigen Klage ihrer Bekümmernisse. Ue-
berall, wo sie erschien, pflegte sie ihre Sorgen mit-
zunehmen, und solche vor ihren Freunden auszuschüt-
ten. Eines Tages befand sie sich in einer großen
Ball-Gesellschaft, wo sie das nehmliche that, und die
Verlegenheit, von welcher sie jetzt eben wegen ihres
Sohnes bedrängt war, in Verse setzte. Ein junger
Herr von R * hr, welcher gegenwärtig war, sah ihr
mit aufmerksamen Wohlgefallen zu, wie sie mitten un-
ter dem Geräusch des Tanzes und der Musik unge-
stört ihre Verse niederschrieb. Er flüsterte ihr einige
Worte der Bewunderung zu, und nannte ihr seinen
Namen. Solche Erscheinungen waren ihr gar nichts

immer mehr zu mangeln anfing, je allmaͤhliger der
neue, vermehrte Druck ihrer Sorgen den erhabenen
Fittig ihres Geiſtes wieder herabſenkte. Man hatte
Geduld und Nachſicht mit ihr, man wuͤnſchte ſie gluͤck-
lich zu ſehen, und zeigte unermuͤdet, daß ſie Freunde
und Wohlwoller hatte.

Als ſie noch in der Baſtillenkammer wohnte, war
der Baron von Kottwitz geſtorben, und ihr Sohn kam
von Boyadel zu ihr zuruͤck. Dieſe neue Laſt mit ei-
nem noch unerzogenen Knaben machte ihr großen Kum-
mer, beſonders da ſie ſchon ihren Bruder zu ernaͤhren
hatte. Sie erleichterte aber ihr Herz durch die Gabe
der offenherzigen Klage ihrer Bekuͤmmerniſſe. Ue-
berall, wo ſie erſchien, pflegte ſie ihre Sorgen mit-
zunehmen, und ſolche vor ihren Freunden auszuſchuͤt-
ten. Eines Tages befand ſie ſich in einer großen
Ball-Geſellſchaft, wo ſie das nehmliche that, und die
Verlegenheit, von welcher ſie jetzt eben wegen ihres
Sohnes bedraͤngt war, in Verſe ſetzte. Ein junger
Herr von R * hr, welcher gegenwaͤrtig war, ſah ihr
mit aufmerkſamen Wohlgefallen zu, wie ſie mitten un-
ter dem Geraͤuſch des Tanzes und der Muſik unge-
ſtoͤrt ihre Verſe niederſchrieb. Er fluͤſterte ihr einige
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[107/0139] immer mehr zu mangeln anfing, je allmaͤhliger der neue, vermehrte Druck ihrer Sorgen den erhabenen Fittig ihres Geiſtes wieder herabſenkte. Man hatte Geduld und Nachſicht mit ihr, man wuͤnſchte ſie gluͤck- lich zu ſehen, und zeigte unermuͤdet, daß ſie Freunde und Wohlwoller hatte. Als ſie noch in der Baſtillenkammer wohnte, war der Baron von Kottwitz geſtorben, und ihr Sohn kam von Boyadel zu ihr zuruͤck. Dieſe neue Laſt mit ei- nem noch unerzogenen Knaben machte ihr großen Kum- mer, beſonders da ſie ſchon ihren Bruder zu ernaͤhren hatte. Sie erleichterte aber ihr Herz durch die Gabe der offenherzigen Klage ihrer Bekuͤmmerniſſe. Ue- berall, wo ſie erſchien, pflegte ſie ihre Sorgen mit- zunehmen, und ſolche vor ihren Freunden auszuſchuͤt- ten. Eines Tages befand ſie ſich in einer großen Ball-Geſellſchaft, wo ſie das nehmliche that, und die Verlegenheit, von welcher ſie jetzt eben wegen ihres Sohnes bedraͤngt war, in Verſe ſetzte. Ein junger Herr von R * hr, welcher gegenwaͤrtig war, ſah ihr mit aufmerkſamen Wohlgefallen zu, wie ſie mitten un- ter dem Geraͤuſch des Tanzes und der Muſik unge- ſtoͤrt ihre Verſe niederſchrieb. Er fluͤſterte ihr einige Worte der Bewunderung zu, und nannte ihr ſeinen Namen. Solche Erſcheinungen waren ihr gar nichts

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/139>, abgerufen am 21.11.2024.