Wohnung kömmt, von seinem Herrn, dem Baron von Kottwitz, einen Gruß bringt, und ihr eine be- schriebene Karte überreicht. Das Blatt kam von der Frau Generalin von Wreech aus Berlin, welche den Baron ersucht, "daß er sich doch nach der Dichter in in Glogau erkundigen möchte und Nachricht von ih- ren Umständen einziehn; indem sie gar nicht wüßte, wie es zuginge, daß sie in sieben Monaten keinen Brief von ihr erhalten hätte". Die Dichterin, beschämt von der zuvorkommenden Güte der Generalin, setzte sich in Gegenwart des Dieners hin, und schrieb, ihrer Gewohnheit nach, sogleich einen Brief in Versen an die Dame und ein poetisches Billet an den ihr ganz fremden Baron. Der Diener, welcher ihr voll Verwunderung zugesehn, wie schnell sie schrieb, bringt das Paket sei- nem Herrn und ist ganz Erstaunen über die seltsame Frau. Sein Herr, welcher Lektüre und poetischen Ge- schmack hatte, fand den Bericht des Dieners durch das Schreiben der Dichterin bestätigt und ward neu- gierig, sie kennen zu lernen. Am andern Morgen ließ er sie zu sich rufen; sie erschien in ihrer gewöhnlichen Bürgertracht, mit einer zwar freundlichen aber fast einfältigen Blödigkeit. Seine Augen ließen ihn zwei- feln, ob es die Frau wäre, welche eine so seltne Gabe besäße? Allein ihre Antwort auf seine erste Frage über- zeugte ihn bald, denn sie erwiderte ihm in einem recht
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Wohnung koͤmmt, von ſeinem Herrn, dem Baron von Kottwitz, einen Gruß bringt, und ihr eine be- ſchriebene Karte uͤberreicht. Das Blatt kam von der Frau Generalin von Wreech aus Berlin, welche den Baron erſucht, „daß er ſich doch nach der Dichter in in Glogau erkundigen moͤchte und Nachricht von ih- ren Umſtaͤnden einziehn; indem ſie gar nicht wuͤßte, wie es zuginge, daß ſie in ſieben Monaten keinen Brief von ihr erhalten haͤtte“. Die Dichterin, beſchaͤmt von der zuvorkommenden Guͤte der Generalin, ſetzte ſich in Gegenwart des Dieners hin, und ſchrieb, ihrer Gewohnheit nach, ſogleich einen Brief in Verſen an die Dame und ein poetiſches Billet an den ihr ganz fremden Baron. Der Diener, welcher ihr voll Verwunderung zugeſehn, wie ſchnell ſie ſchrieb, bringt das Paket ſei- nem Herrn und iſt ganz Erſtaunen uͤber die ſeltſame Frau. Sein Herr, welcher Lektuͤre und poetiſchen Ge- ſchmack hatte, fand den Bericht des Dieners durch das Schreiben der Dichterin beſtaͤtigt und ward neu- gierig, ſie kennen zu lernen. Am andern Morgen ließ er ſie zu ſich rufen; ſie erſchien in ihrer gewoͤhnlichen Buͤrgertracht, mit einer zwar freundlichen aber faſt einfaͤltigen Bloͤdigkeit. Seine Augen ließen ihn zwei- feln, ob es die Frau waͤre, welche eine ſo ſeltne Gabe beſaͤße? Allein ihre Antwort auf ſeine erſte Frage uͤber- zeugte ihn bald, denn ſie erwiderte ihm in einem recht
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Wohnung koͤmmt, von ſeinem Herrn, dem Baron
von Kottwitz, einen Gruß bringt, und ihr eine be-
ſchriebene Karte uͤberreicht. Das Blatt kam von der
Frau Generalin von Wreech aus Berlin, welche den
Baron erſucht, „daß er ſich doch nach der Dichter in
in Glogau erkundigen moͤchte und Nachricht von ih-
ren Umſtaͤnden einziehn; indem ſie gar nicht wuͤßte,
wie es zuginge, daß ſie in ſieben Monaten keinen Brief
von ihr erhalten haͤtte“. Die Dichterin, beſchaͤmt
von der zuvorkommenden Guͤte der Generalin, ſetzte
ſich in Gegenwart des Dieners hin, und ſchrieb, ihrer
Gewohnheit nach, ſogleich einen Brief in Verſen an die
Dame und ein poetiſches Billet an den ihr ganz fremden
Baron. Der Diener, welcher ihr voll Verwunderung
zugeſehn, wie ſchnell ſie ſchrieb, bringt das Paket ſei-
nem Herrn und iſt ganz Erſtaunen uͤber die ſeltſame
Frau. Sein Herr, welcher Lektuͤre und poetiſchen Ge-
ſchmack hatte, fand den Bericht des Dieners durch
das Schreiben der Dichterin beſtaͤtigt und ward neu-
gierig, ſie kennen zu lernen. Am andern Morgen ließ
er ſie zu ſich rufen; ſie erſchien in ihrer gewoͤhnlichen
Buͤrgertracht, mit einer zwar freundlichen aber faſt
einfaͤltigen Bloͤdigkeit. Seine Augen ließen ihn zwei-
feln, ob es die Frau waͤre, welche eine ſo ſeltne Gabe
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zeugte ihn bald, denn ſie erwiderte ihm in einem recht
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/113>, abgerufen am 21.11.2024.
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