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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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daß sie es nicht mehr aushalten könnte -- -- Da kam
eine unerwartete Erlösung.

Ein bedeutender Herr, welcher von der Tirannei
ihres Ehejoches gehört hatte, vermittelte durch sein
Ansehn, daß sie davon frei ward, ohne daß es die Weit-
läuftigkeit der Klage kostete. Die Vermittelung ging
freilich nicht den Weg Rechtens, allein die Dichterin
ward dadurch frei, und ihrer schwersten Sorgenbürde
entladen.

Jetzt bekam ihr Geist seine eigene Schwungkraft.
Zwar dichtete sie noch immer um Brod, aber der
sanfte Friede um sie her, den sie noch nicht geschmeckt
hatte, gab ihr alle die Stärke, welche sie vorher in
Sorgen und Unterdrückung hatte versenfzen müssen.
Alles, was sie nun dichtete, athmete diesen Frieden,
und ward zum Lobgesang. Doch war sie vor neuen
Sorgen nicht sicher; denn die Entfernung ihres Man-
nes war ungewiß, er konnte jederzeit wiederkommen.
Es geschah auch wirklich, was sie besorgte: er ward
auf einige Zeit wieder zu ihr gelassen. Eine Weile
ließ er den Trunk, und mit demselben die Vergehung
gegen sie, allein es dauerte nicht lange; und da ward
er seinem Schicksale auf immer übergeben.

Nachdem sie ihn wieder los war, brachte sie noch
etwa dreiviertel Jahr in der Glückseligkeit eines freien
Zustandes hin, als eines Tages ein Diener in ihre

Woh-

daß ſie es nicht mehr aushalten koͤnnte — — Da kam
eine unerwartete Erloͤſung.

Ein bedeutender Herr, welcher von der Tirannei
ihres Ehejoches gehoͤrt hatte, vermittelte durch ſein
Anſehn, daß ſie davon frei ward, ohne daß es die Weit-
laͤuftigkeit der Klage koſtete. Die Vermittelung ging
freilich nicht den Weg Rechtens, allein die Dichterin
ward dadurch frei, und ihrer ſchwerſten Sorgenbuͤrde
entladen.

Jetzt bekam ihr Geiſt ſeine eigene Schwungkraft.
Zwar dichtete ſie noch immer um Brod, aber der
ſanfte Friede um ſie her, den ſie noch nicht geſchmeckt
hatte, gab ihr alle die Staͤrke, welche ſie vorher in
Sorgen und Unterdruͤckung hatte verſenfzen muͤſſen.
Alles, was ſie nun dichtete, athmete dieſen Frieden,
und ward zum Lobgeſang. Doch war ſie vor neuen
Sorgen nicht ſicher; denn die Entfernung ihres Man-
nes war ungewiß, er konnte jederzeit wiederkommen.
Es geſchah auch wirklich, was ſie beſorgte: er ward
auf einige Zeit wieder zu ihr gelaſſen. Eine Weile
ließ er den Trunk, und mit demſelben die Vergehung
gegen ſie, allein es dauerte nicht lange; und da ward
er ſeinem Schickſale auf immer uͤbergeben.

Nachdem ſie ihn wieder los war, brachte ſie noch
etwa dreiviertel Jahr in der Gluͤckſeligkeit eines freien
Zuſtandes hin, als eines Tages ein Diener in ihre

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[80/0112] daß ſie es nicht mehr aushalten koͤnnte — — Da kam eine unerwartete Erloͤſung. Ein bedeutender Herr, welcher von der Tirannei ihres Ehejoches gehoͤrt hatte, vermittelte durch ſein Anſehn, daß ſie davon frei ward, ohne daß es die Weit- laͤuftigkeit der Klage koſtete. Die Vermittelung ging freilich nicht den Weg Rechtens, allein die Dichterin ward dadurch frei, und ihrer ſchwerſten Sorgenbuͤrde entladen. Jetzt bekam ihr Geiſt ſeine eigene Schwungkraft. Zwar dichtete ſie noch immer um Brod, aber der ſanfte Friede um ſie her, den ſie noch nicht geſchmeckt hatte, gab ihr alle die Staͤrke, welche ſie vorher in Sorgen und Unterdruͤckung hatte verſenfzen muͤſſen. Alles, was ſie nun dichtete, athmete dieſen Frieden, und ward zum Lobgeſang. Doch war ſie vor neuen Sorgen nicht ſicher; denn die Entfernung ihres Man- nes war ungewiß, er konnte jederzeit wiederkommen. Es geſchah auch wirklich, was ſie beſorgte: er ward auf einige Zeit wieder zu ihr gelaſſen. Eine Weile ließ er den Trunk, und mit demſelben die Vergehung gegen ſie, allein es dauerte nicht lange; und da ward er ſeinem Schickſale auf immer uͤbergeben. Nachdem ſie ihn wieder los war, brachte ſie noch etwa dreiviertel Jahr in der Gluͤckſeligkeit eines freien Zuſtandes hin, als eines Tages ein Diener in ihre Woh-

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/112>, abgerufen am 21.11.2024.