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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

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des Talentes, welches alle Welt an ihr rühmte; ihre
Bescheidenheit begehrte keinen Ruhm: Brod war
das einzige, warum sie ihre Kunst übte; Brod und
Ruhe! Sie war für keinen häuslichen Zustand ge-
boren, und jetzt, je mehr sie sich ihrem Genie überließ,
je drückender wurden ihr die Pflichten einer Haus-
frau, Mutter und Magd; denn dies war sie zu-
gleich. Ihr Geist wollte keine Fesseln leiden, und
ihre Brodsorgen legten ihr täglich schwerere Ket-
ten an. Daher stand täglich die Klage auf ihrem
Munde und die Thräne in ihrem Auge. Ihre Ge-
duld, deren sie viel hatte, so lange ihre Gedanken
mit andern Gegenständen beschäftiget waren, weil sie
stets in Gedanken war, und auf Nebenumstände
wenig verweilte, diese Geduld riß dennoch aus, so
bald sie sich zu den Hausgeschäften herablassen soll-
te. Je mehr nun ihre Sorgen wuchsen, je mehr nahm
ihre Ungeduld zu, der Mann bekam mehr Vorwürfe,
und er ging mehr trinken. Bei seiner Nachhausekunft
rächte sich sein aufgesparter Zorn, und da geschahen
denn Auftritte, die erschrecklich und Jedermann, der
davon hörte, ein Gräuel waren. Ihre Haushaltung
wurde täglich zerrütteter; sie sah ihren Drangsalen
kein Ende, und der Tod gab ihrem Herzen noch die
schwerste Wunde, indem er ihr das Kind ihrer Liebe
entriß. Sie war an dem Zeitpunkte, wo sie glaubte

des Talentes, welches alle Welt an ihr ruͤhmte; ihre
Beſcheidenheit begehrte keinen Ruhm: Brod war
das einzige, warum ſie ihre Kunſt uͤbte; Brod und
Ruhe! Sie war fuͤr keinen haͤuslichen Zuſtand ge-
boren, und jetzt, je mehr ſie ſich ihrem Genie uͤberließ,
je druͤckender wurden ihr die Pflichten einer Haus-
frau, Mutter und Magd; denn dies war ſie zu-
gleich. Ihr Geiſt wollte keine Feſſeln leiden, und
ihre Brodſorgen legten ihr taͤglich ſchwerere Ket-
ten an. Daher ſtand taͤglich die Klage auf ihrem
Munde und die Thraͤne in ihrem Auge. Ihre Ge-
duld, deren ſie viel hatte, ſo lange ihre Gedanken
mit andern Gegenſtaͤnden beſchaͤftiget waren, weil ſie
ſtets in Gedanken war, und auf Nebenumſtaͤnde
wenig verweilte, dieſe Geduld riß dennoch aus, ſo
bald ſie ſich zu den Hausgeſchaͤften herablaſſen ſoll-
te. Je mehr nun ihre Sorgen wuchſen, je mehr nahm
ihre Ungeduld zu, der Mann bekam mehr Vorwuͤrfe,
und er ging mehr trinken. Bei ſeiner Nachhauſekunft
raͤchte ſich ſein aufgeſparter Zorn, und da geſchahen
denn Auftritte, die erſchrecklich und Jedermann, der
davon hoͤrte, ein Graͤuel waren. Ihre Haushaltung
wurde taͤglich zerruͤtteter; ſie ſah ihren Drangſalen
kein Ende, und der Tod gab ihrem Herzen noch die
ſchwerſte Wunde, indem er ihr das Kind ihrer Liebe
entriß. Sie war an dem Zeitpunkte, wo ſie glaubte

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[79/0111] des Talentes, welches alle Welt an ihr ruͤhmte; ihre Beſcheidenheit begehrte keinen Ruhm: Brod war das einzige, warum ſie ihre Kunſt uͤbte; Brod und Ruhe! Sie war fuͤr keinen haͤuslichen Zuſtand ge- boren, und jetzt, je mehr ſie ſich ihrem Genie uͤberließ, je druͤckender wurden ihr die Pflichten einer Haus- frau, Mutter und Magd; denn dies war ſie zu- gleich. Ihr Geiſt wollte keine Feſſeln leiden, und ihre Brodſorgen legten ihr taͤglich ſchwerere Ket- ten an. Daher ſtand taͤglich die Klage auf ihrem Munde und die Thraͤne in ihrem Auge. Ihre Ge- duld, deren ſie viel hatte, ſo lange ihre Gedanken mit andern Gegenſtaͤnden beſchaͤftiget waren, weil ſie ſtets in Gedanken war, und auf Nebenumſtaͤnde wenig verweilte, dieſe Geduld riß dennoch aus, ſo bald ſie ſich zu den Hausgeſchaͤften herablaſſen ſoll- te. Je mehr nun ihre Sorgen wuchſen, je mehr nahm ihre Ungeduld zu, der Mann bekam mehr Vorwuͤrfe, und er ging mehr trinken. Bei ſeiner Nachhauſekunft raͤchte ſich ſein aufgeſparter Zorn, und da geſchahen denn Auftritte, die erſchrecklich und Jedermann, der davon hoͤrte, ein Graͤuel waren. Ihre Haushaltung wurde taͤglich zerruͤtteter; ſie ſah ihren Drangſalen kein Ende, und der Tod gab ihrem Herzen noch die ſchwerſte Wunde, indem er ihr das Kind ihrer Liebe entriß. Sie war an dem Zeitpunkte, wo ſie glaubte

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Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/111>, abgerufen am 27.04.2024.