Mein lieber Großvezier! vernimm, Du gabst mir heute die Zechinen! Sie sollten auf den Monath mir, Zu meinen kleinen Kosten dienen; Der alt gewordne Perser hier Braucht Geld zu Rock und Brodt, er soll die Hälfte haben. Der junge Prinz sprach so, und seine Finger gaben Den halben Reichthum in die Hand Des Mannes, der vor ihm als wie versteinert, stand! Zu angenehm erschrack er vor so vielem Gelde. Prinz! sprach der Großvezier, dich lohne der Prophet, Dann dieser Greiß that jung auch tapfer in dem Felde; Siehst du nicht, wie er hinken geht? Und welche Narben auf den Wangen Er von den Wunden hat, die ihm der Feind gemacht? Sein Leben war ihm feil in mehr als einer Schlacht. Die Hälfte gabst du ihm, doch hast du nicht bedacht Wenn nun bald noch ein Armer käme? O! sprach der allerliebste Sohn Der frommen Menschlichkeit, Vezier! dann wüst ich schon
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Zweytes Buch.
Mein lieber Großvezier! vernimm, Du gabſt mir heute die Zechinen! Sie ſollten auf den Monath mir, Zu meinen kleinen Koſten dienen; Der alt gewordne Perſer hier Braucht Geld zu Rock und Brodt, er ſoll die Haͤlfte haben. Der junge Prinz ſprach ſo, und ſeine Finger gaben Den halben Reichthum in die Hand Des Mannes, der vor ihm als wie verſteinert, ſtand! Zu angenehm erſchrack er vor ſo vielem Gelde. Prinz! ſprach der Großvezier, dich lohne der Prophet, Dann dieſer Greiß that jung auch tapfer in dem Felde; Siehſt du nicht, wie er hinken geht? Und welche Narben auf den Wangen Er von den Wunden hat, die ihm der Feind gemacht? Sein Leben war ihm feil in mehr als einer Schlacht. Die Haͤlfte gabſt du ihm, doch haſt du nicht bedacht Wenn nun bald noch ein Armer kaͤme? O! ſprach der allerliebſte Sohn Der frommen Menſchlichkeit, Vezier! dann wuͤſt ich ſchon
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Zweytes Buch.
Mein lieber Großvezier! vernimm,
Du gabſt mir heute die Zechinen!
Sie ſollten auf den Monath mir,
Zu meinen kleinen Koſten dienen;
Der alt gewordne Perſer hier
Braucht Geld zu Rock und Brodt, er ſoll die Haͤlfte haben.
Der junge Prinz ſprach ſo, und ſeine Finger gaben
Den halben Reichthum in die Hand
Des Mannes, der vor ihm als wie verſteinert, ſtand!
Zu angenehm erſchrack er vor ſo vielem Gelde.
Prinz! ſprach der Großvezier, dich lohne der Prophet,
Dann dieſer Greiß that jung auch tapfer in dem Felde;
Siehſt du nicht, wie er hinken geht?
Und welche Narben auf den Wangen
Er von den Wunden hat, die ihm der Feind gemacht?
Sein Leben war ihm feil in mehr als einer Schlacht.
Die Haͤlfte gabſt du ihm, doch haſt du nicht bedacht
Wenn nun bald noch ein Armer kaͤme?
O! ſprach der allerliebſte Sohn
Der frommen Menſchlichkeit, Vezier! dann wuͤſt ich ſchon
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Karsch, Anna Luise: Auserlesene Gedichte. Berlin, 1764, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1764/353>, abgerufen am 22.07.2024.
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