Ben-Ha-Alim gieng einst mit seinem Großvezier Lustwandeln in breitschattigten Alleen. Ein armer alter Mann blieb in der Ferne stehen; Wie ich im schlechten Rock einst an der Kirchenthür Versteckt, anbethen stand, und schüchtern neben mir Vorbey sah reiche Leute gehen: So niederblickend blieb der arme Perser stehen. "Gegrüsset seyst du mir, o Greiß! "Dich seegne der Prophet, und Gott, der ihn gesendet! So spricht Ben-Ha-Alim zum alten Mann gewendet, Der ihn mit nichts zu danken weiß, Als nur mit einer stillen Zähre, Die von der Wang herunter fließt. Schon froh, daß ihn der Prinz gegrüßt, Vergaß er, daß er nackt und daß er hungrig wäre; Die Hände faltet er auf seinem Stab, und hebt Das Auge zu dem Gott, der allem, was da lebt Auf Erden, Speise giebt. Ach! spricht Ben-Ha-Alim, Der arme Mann! er betet für mein Leben! Ich wolt ihm ohne dies schon geben.
Vermiſchte Gedichte.
Ben-Ha-Alim gieng einſt mit ſeinem Großvezier Luſtwandeln in breitſchattigten Alleen. Ein armer alter Mann blieb in der Ferne ſtehen; Wie ich im ſchlechten Rock einſt an der Kirchenthuͤr Verſteckt, anbethen ſtand, und ſchuͤchtern neben mir Vorbey ſah reiche Leute gehen: So niederblickend blieb der arme Perſer ſtehen. ”Gegruͤſſet ſeyſt du mir, o Greiß! ”Dich ſeegne der Prophet, und Gott, der ihn geſendet! So ſpricht Ben-Ha-Alim zum alten Mann gewendet, Der ihn mit nichts zu danken weiß, Als nur mit einer ſtillen Zaͤhre, Die von der Wang herunter fließt. Schon froh, daß ihn der Prinz gegruͤßt, Vergaß er, daß er nackt und daß er hungrig waͤre; Die Haͤnde faltet er auf ſeinem Stab, und hebt Das Auge zu dem Gott, der allem, was da lebt Auf Erden, Speiſe giebt. Ach! ſpricht Ben-Ha-Alim, Der arme Mann! er betet fuͤr mein Leben! Ich wolt ihm ohne dies ſchon geben.
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Vermiſchte Gedichte.
Ben-Ha-Alim gieng einſt mit ſeinem Großvezier
Luſtwandeln in breitſchattigten Alleen.
Ein armer alter Mann blieb in der Ferne ſtehen;
Wie ich im ſchlechten Rock einſt an der Kirchenthuͤr
Verſteckt, anbethen ſtand, und ſchuͤchtern neben mir
Vorbey ſah reiche Leute gehen:
So niederblickend blieb der arme Perſer ſtehen.
”Gegruͤſſet ſeyſt du mir, o Greiß!
”Dich ſeegne der Prophet, und Gott, der ihn geſendet!
So ſpricht Ben-Ha-Alim zum alten Mann gewendet,
Der ihn mit nichts zu danken weiß,
Als nur mit einer ſtillen Zaͤhre,
Die von der Wang herunter fließt.
Schon froh, daß ihn der Prinz gegruͤßt,
Vergaß er, daß er nackt und daß er hungrig waͤre;
Die Haͤnde faltet er auf ſeinem Stab, und hebt
Das Auge zu dem Gott, der allem, was da lebt
Auf Erden, Speiſe giebt. Ach! ſpricht Ben-Ha-Alim,
Der arme Mann! er betet fuͤr mein Leben!
Ich wolt ihm ohne dies ſchon geben.
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Karsch, Anna Luise: Auserlesene Gedichte. Berlin, 1764, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1764/352>, abgerufen am 03.07.2024.
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