Was das Jnteresse der Neigung beym Angenehmen betrift, so sagt jedermann: Hunger ist der beste Koch, und Leuten von gesundem Appetit schmeckt alles, was nur eßbar ist; mithin beweiset ein solches Wohlgefallen keine Wahl nach Geschmack. Nur wenn das Bedürfnis befriedigt ist, kann man unterscheiden, wer unter vielen Geschmack habe, oder nicht. Eben so giebt es Sitten (Conduite) ohne Tugend, Höflichkeit ohne Wohlwollen, Anständigkeit ohne Ehrbarkeit u. s. w. Denn wo das sittliche Gesetz spricht, da giebt es auch weiter keine freye Wahl in Ansehung dessen, was zu thun sey, und Ge- schmack in seiner Aufführung (oder Beurtheilung ande- rer ihrer) zeigen, ist etwas ganz anderes, als seine mo- ralische Denkungsart äußern; denn diese enthält ein Ge- bot und bringt ein Bedürfnis hervor, da hingegen der sittliche Geschmack mit den Gegenständen des Wohlge- fallens nur spielt, ohne sich an eines zu hängen.
Aus dem ersten Momente gefolgerte Erklä- rung des Schönen.
Geschmack ist das Beurtheilungsvermögen ei- nes Gegenstandes oder einer Vorstellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Misfallen, ohne alles Jn- teresse. Der Gegenstand eines solchen Wohlgefallens heißt Schön.
Zweytes
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Was das Jntereſſe der Neigung beym Angenehmen betrift, ſo ſagt jedermann: Hunger iſt der beſte Koch, und Leuten von geſundem Appetit ſchmeckt alles, was nur eßbar iſt; mithin beweiſet ein ſolches Wohlgefallen keine Wahl nach Geſchmack. Nur wenn das Beduͤrfnis befriedigt iſt, kann man unterſcheiden, wer unter vielen Geſchmack habe, oder nicht. Eben ſo giebt es Sitten (Conduite) ohne Tugend, Hoͤflichkeit ohne Wohlwollen, Anſtaͤndigkeit ohne Ehrbarkeit u. ſ. w. Denn wo das ſittliche Geſetz ſpricht, da giebt es auch weiter keine freye Wahl in Anſehung deſſen, was zu thun ſey, und Ge- ſchmack in ſeiner Auffuͤhrung (oder Beurtheilung ande- rer ihrer) zeigen, iſt etwas ganz anderes, als ſeine mo- raliſche Denkungsart aͤußern; denn dieſe enthaͤlt ein Ge- bot und bringt ein Beduͤrfnis hervor, da hingegen der ſittliche Geſchmack mit den Gegenſtaͤnden des Wohlge- fallens nur ſpielt, ohne ſich an eines zu haͤngen.
Aus dem erſten Momente gefolgerte Erklaͤ- rung des Schoͤnen.
Geſchmack iſt das Beurtheilungsvermoͤgen ei- nes Gegenſtandes oder einer Vorſtellungsart durch ein Wohlgefallen, oder Misfallen, ohne alles Jn- tereſſe. Der Gegenſtand eines ſolchen Wohlgefallens heißt Schoͤn.
Zweytes
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I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Was das Jntereſſe der Neigung beym Angenehmen
betrift, ſo ſagt jedermann: Hunger iſt der beſte Koch,
und Leuten von geſundem Appetit ſchmeckt alles, was
nur eßbar iſt; mithin beweiſet ein ſolches Wohlgefallen
keine Wahl nach Geſchmack. Nur wenn das Beduͤrfnis
befriedigt iſt, kann man unterſcheiden, wer unter vielen
Geſchmack habe, oder nicht. Eben ſo giebt es Sitten
(Conduite) ohne Tugend, Hoͤflichkeit ohne Wohlwollen,
Anſtaͤndigkeit ohne Ehrbarkeit u. ſ. w. Denn wo das
ſittliche Geſetz ſpricht, da giebt es auch weiter keine freye
Wahl in Anſehung deſſen, was zu thun ſey, und Ge-
ſchmack in ſeiner Auffuͤhrung (oder Beurtheilung ande-
rer ihrer) zeigen, iſt etwas ganz anderes, als ſeine mo-
raliſche Denkungsart aͤußern; denn dieſe enthaͤlt ein Ge-
bot und bringt ein Beduͤrfnis hervor, da hingegen der
ſittliche Geſchmack mit den Gegenſtaͤnden des Wohlge-
fallens nur ſpielt, ohne ſich an eines zu haͤngen.
Aus dem erſten Momente gefolgerte Erklaͤ-
rung des Schoͤnen.
Geſchmack iſt das Beurtheilungsvermoͤgen ei-
nes Gegenſtandes oder einer Vorſtellungsart durch ein
Wohlgefallen, oder Misfallen, ohne alles Jn-
tereſſe. Der Gegenſtand eines ſolchen Wohlgefallens
heißt Schoͤn.
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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/80>, abgerufen am 28.11.2024.
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