Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft. Körper werden aus flüßiger Nahrungsmaterie gebildetso fern sie sich in Ruhe formt, freylich zwar in der letz- tern zuvörderst nach einer gewissen ursprünglichen auf Zwecke gerichteten Anlage, (die wie im zweyten Theile gewiesen werden wird nicht ästhetisch, sondern teleolo- gisch, nach dem Princip des Realisms beurtheilt wer- den muß) aber neben bey doch auch vielleicht als, dem allgemeinen Gesetze der Verwandschaft der Materien gemäs, anschießend und sich in Freyheit bildend. So wie nun die in einer Atmosphäre, welche ein Gemisch verschiedener Luftarten ist, aufgelösete wäßrige Flüßig- keiten, wenn sich die letztere, durch Abgang der Wärme von jener scheidet, Schneefiguren erzeugen, die nach Verschiedenheit der dermaligen Luftmischung von oft sehr künstlichscheinenden und überaus schöner Figur sind, so läßt sich, ohne dem teleologischem Princip der Beur- theilung der Organisation etwas zu entziehen, wohl denken: daß, was die Schönheit der Blumen, der Vo- gelfedern, der Muscheln, ihrer Gestalt sowohl als Farbe nach, betrift, diese der Natur und ihrem Vermögen, sich in ihrer Freyheit, ohne besondere darauf gerichtete Zwecke, nach chemischen Gesetzen, durch Absetzung der zur Organisation erforderlichen Materie, auch ästhetisch- zweckmäßig zu bilden, zugeschrieben werden könne. Was aber das Princip der Jdealität der Zweck- I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. Koͤrper werden aus fluͤßiger Nahrungsmaterie gebildetſo fern ſie ſich in Ruhe formt, freylich zwar in der letz- tern zuvoͤrderſt nach einer gewiſſen urſpruͤnglichen auf Zwecke gerichteten Anlage, (die wie im zweyten Theile gewieſen werden wird nicht aͤſthetiſch, ſondern teleolo- giſch, nach dem Princip des Realisms beurtheilt wer- den muß) aber neben bey doch auch vielleicht als, dem allgemeinen Geſetze der Verwandſchaft der Materien gemaͤs, anſchießend und ſich in Freyheit bildend. So wie nun die in einer Atmoſphaͤre, welche ein Gemiſch verſchiedener Luftarten iſt, aufgeloͤſete waͤßrige Fluͤßig- keiten, wenn ſich die letztere, durch Abgang der Waͤrme von jener ſcheidet, Schneefiguren erzeugen, die nach Verſchiedenheit der dermaligen Luftmiſchung von oft ſehr kuͤnſtlichſcheinenden und uͤberaus ſchoͤner Figur ſind, ſo laͤßt ſich, ohne dem teleologiſchem Princip der Beur- theilung der Organiſation etwas zu entziehen, wohl denken: daß, was die Schoͤnheit der Blumen, der Vo- gelfedern, der Muſcheln, ihrer Geſtalt ſowohl als Farbe nach, betrift, dieſe der Natur und ihrem Vermoͤgen, ſich in ihrer Freyheit, ohne beſondere darauf gerichtete Zwecke, nach chemiſchen Geſetzen, durch Abſetzung der zur Organiſation erforderlichen Materie, auch aͤſthetiſch- zweckmaͤßig zu bilden, zugeſchrieben werden koͤnne. Was aber das Princip der Jdealitaͤt der Zweck- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0312" n="248"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">I.</hi> Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.</fw><lb/> Koͤrper werden aus fluͤßiger Nahrungsmaterie gebildet<lb/> ſo fern ſie ſich in Ruhe formt, freylich zwar in der letz-<lb/> tern zuvoͤrderſt nach einer gewiſſen urſpruͤnglichen auf<lb/> Zwecke gerichteten Anlage, (die wie im zweyten Theile<lb/> gewieſen werden wird nicht aͤſthetiſch, ſondern teleolo-<lb/> giſch, nach dem Princip des Realisms beurtheilt wer-<lb/> den muß) aber neben bey doch auch vielleicht als, dem<lb/> allgemeinen Geſetze der Verwandſchaft der Materien<lb/> gemaͤs, anſchießend und ſich in Freyheit bildend. So<lb/> wie nun die in einer Atmoſphaͤre, welche ein Gemiſch<lb/> verſchiedener Luftarten iſt, aufgeloͤſete waͤßrige Fluͤßig-<lb/> keiten, wenn ſich die letztere, durch Abgang der Waͤrme<lb/> von jener ſcheidet, Schneefiguren erzeugen, die nach<lb/> Verſchiedenheit der dermaligen Luftmiſchung von oft<lb/> ſehr kuͤnſtlichſcheinenden und uͤberaus ſchoͤner Figur ſind,<lb/> ſo laͤßt ſich, ohne dem teleologiſchem Princip der Beur-<lb/> theilung der Organiſation etwas zu entziehen, wohl<lb/> denken: daß, was die Schoͤnheit der Blumen, der Vo-<lb/> gelfedern, der Muſcheln, ihrer Geſtalt ſowohl als Farbe<lb/> nach, betrift, dieſe der Natur und ihrem Vermoͤgen, ſich<lb/> in ihrer Freyheit, ohne beſondere darauf gerichtete<lb/> Zwecke, nach chemiſchen Geſetzen, durch Abſetzung der<lb/> zur Organiſation erforderlichen Materie, auch aͤſthetiſch-<lb/> zweckmaͤßig zu bilden, zugeſchrieben werden koͤnne.</p><lb/> <p>Was aber das Princip der <hi rendition="#fr">Jdealitaͤt</hi> der Zweck-<lb/> maͤßigkeit im Schoͤnen der Natur als dasjenige, wel-<lb/> ches wir im aͤſthetiſchen Urtheile ſelbſt jederzeit zum<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [248/0312]
I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
Koͤrper werden aus fluͤßiger Nahrungsmaterie gebildet
ſo fern ſie ſich in Ruhe formt, freylich zwar in der letz-
tern zuvoͤrderſt nach einer gewiſſen urſpruͤnglichen auf
Zwecke gerichteten Anlage, (die wie im zweyten Theile
gewieſen werden wird nicht aͤſthetiſch, ſondern teleolo-
giſch, nach dem Princip des Realisms beurtheilt wer-
den muß) aber neben bey doch auch vielleicht als, dem
allgemeinen Geſetze der Verwandſchaft der Materien
gemaͤs, anſchießend und ſich in Freyheit bildend. So
wie nun die in einer Atmoſphaͤre, welche ein Gemiſch
verſchiedener Luftarten iſt, aufgeloͤſete waͤßrige Fluͤßig-
keiten, wenn ſich die letztere, durch Abgang der Waͤrme
von jener ſcheidet, Schneefiguren erzeugen, die nach
Verſchiedenheit der dermaligen Luftmiſchung von oft
ſehr kuͤnſtlichſcheinenden und uͤberaus ſchoͤner Figur ſind,
ſo laͤßt ſich, ohne dem teleologiſchem Princip der Beur-
theilung der Organiſation etwas zu entziehen, wohl
denken: daß, was die Schoͤnheit der Blumen, der Vo-
gelfedern, der Muſcheln, ihrer Geſtalt ſowohl als Farbe
nach, betrift, dieſe der Natur und ihrem Vermoͤgen, ſich
in ihrer Freyheit, ohne beſondere darauf gerichtete
Zwecke, nach chemiſchen Geſetzen, durch Abſetzung der
zur Organiſation erforderlichen Materie, auch aͤſthetiſch-
zweckmaͤßig zu bilden, zugeſchrieben werden koͤnne.
Was aber das Princip der Jdealitaͤt der Zweck-
maͤßigkeit im Schoͤnen der Natur als dasjenige, wel-
ches wir im aͤſthetiſchen Urtheile ſelbſt jederzeit zum
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