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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
zen Nachdrucke, nämlich als Sprache der Affecten aus-
übe und so, nach dem Gesetze der Association, die da-
mit natürlicher Weise verbundene ästhetische Jdeen allge-
mein mittheile; daß aber, weil jene ästhetische Jdeen
keine Begriffe und bestimmte Gedanken sind, die Form
der Zusammensetzung dieser Empfindungen (Harmonie
und Melodie) nur, statt der Form einer Sprache, dazu
diene, vermittelst einer proportionirten Stimmung der-
selben (welche, weil sie bey Tönen auf dem Verhältnis
der Zahl der Luftbebungen in derselben Zeit, so fern die
Töne zugleich oder auch nach einander verbunden wer-
den, beruht, mathematisch unter gewisse Regeln gebracht
werden kann) die ästhetische Jdee eines zusammenhan-
genden Ganzen einer unnennbaren Gedankenfülle einem
gewissen Thema gemäß, welches den in dem Stücke
herrschenden Affect ausmacht, auszudrücken. An dieser
mathematischen Form, obgleich nicht durch bestimmte
Begriffe vorgestellt, hängt allein das Wohlgefallen wel-
ches die bloße Reflexion über eine solche Menge einander
begleitenden oder folgenden Empfindungen mit diesem
Spiele derselben als für jedermann gültige Bedingung
seiner Schönheit verknüpft, und sie ist es allein nach
welcher der Geschmack sich ein Recht über das Urtheil von
jedermann zum voraus auszusprechen anmaßen darf.

Aber an dem Reitze und der Gemüthsbewegung,
welche die Musik hervorbringt, hat die Mathematik
sicherlich nicht den mindesten Antheil; sondern sie ist nur

O 5

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
zen Nachdrucke, naͤmlich als Sprache der Affecten aus-
uͤbe und ſo, nach dem Geſetze der Aſſociation, die da-
mit natuͤrlicher Weiſe verbundene aͤſthetiſche Jdeen allge-
mein mittheile; daß aber, weil jene aͤſthetiſche Jdeen
keine Begriffe und beſtimmte Gedanken ſind, die Form
der Zuſammenſetzung dieſer Empfindungen (Harmonie
und Melodie) nur, ſtatt der Form einer Sprache, dazu
diene, vermittelſt einer proportionirten Stimmung der-
ſelben (welche, weil ſie bey Toͤnen auf dem Verhaͤltnis
der Zahl der Luftbebungen in derſelben Zeit, ſo fern die
Toͤne zugleich oder auch nach einander verbunden wer-
den, beruht, mathematiſch unter gewiſſe Regeln gebracht
werden kann) die aͤſthetiſche Jdee eines zuſammenhan-
genden Ganzen einer unnennbaren Gedankenfuͤlle einem
gewiſſen Thema gemaͤß, welches den in dem Stuͤcke
herrſchenden Affect ausmacht, auszudruͤcken. An dieſer
mathematiſchen Form, obgleich nicht durch beſtimmte
Begriffe vorgeſtellt, haͤngt allein das Wohlgefallen wel-
ches die bloße Reflexion uͤber eine ſolche Menge einander
begleitenden oder folgenden Empfindungen mit dieſem
Spiele derſelben als fuͤr jedermann guͤltige Bedingung
ſeiner Schoͤnheit verknuͤpft, und ſie iſt es allein nach
welcher der Geſchmack ſich ein Recht uͤber das Urtheil von
jedermann zum voraus auszuſprechen anmaßen darf.

Aber an dem Reitze und der Gemuͤthsbewegung,
welche die Muſik hervorbringt, hat die Mathematik
sicherlich nicht den mindeſten Antheil; ſondern ſie iſt nur

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[217/0281] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. zen Nachdrucke, naͤmlich als Sprache der Affecten aus- uͤbe und ſo, nach dem Geſetze der Aſſociation, die da- mit natuͤrlicher Weiſe verbundene aͤſthetiſche Jdeen allge- mein mittheile; daß aber, weil jene aͤſthetiſche Jdeen keine Begriffe und beſtimmte Gedanken ſind, die Form der Zuſammenſetzung dieſer Empfindungen (Harmonie und Melodie) nur, ſtatt der Form einer Sprache, dazu diene, vermittelſt einer proportionirten Stimmung der- ſelben (welche, weil ſie bey Toͤnen auf dem Verhaͤltnis der Zahl der Luftbebungen in derſelben Zeit, ſo fern die Toͤne zugleich oder auch nach einander verbunden wer- den, beruht, mathematiſch unter gewiſſe Regeln gebracht werden kann) die aͤſthetiſche Jdee eines zuſammenhan- genden Ganzen einer unnennbaren Gedankenfuͤlle einem gewiſſen Thema gemaͤß, welches den in dem Stuͤcke herrſchenden Affect ausmacht, auszudruͤcken. An dieſer mathematiſchen Form, obgleich nicht durch beſtimmte Begriffe vorgeſtellt, haͤngt allein das Wohlgefallen wel- ches die bloße Reflexion uͤber eine ſolche Menge einander begleitenden oder folgenden Empfindungen mit dieſem Spiele derſelben als fuͤr jedermann guͤltige Bedingung ſeiner Schoͤnheit verknuͤpft, und ſie iſt es allein nach welcher der Geſchmack ſich ein Recht uͤber das Urtheil von jedermann zum voraus auszuſprechen anmaßen darf. Aber an dem Reitze und der Gemuͤthsbewegung, welche die Muſik hervorbringt, hat die Mathematik sicherlich nicht den mindeſten Antheil; ſondern ſie iſt nur O 5

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/281>, abgerufen am 28.11.2024.