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Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790.

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I. Th. Critik der ästhetischen Urtheilskraft.
kennt, nicht eben Kunst genannt. Nur das, was, wenn
man es auch auf das vollständigste kennt, dennoch dar-
um zu machen noch nicht sofort die Geschicklichkeit hat,
gehört in so weit zur Kunst. Camper beschreibt sehr
genau, wie der beste Schuh beschaffen seyn müßte, aber
er konnte gewiß keinen machen *).

3) Wird auch Kunst vom Handwerke unterschie-
den, die erste heißt freye, die andere kann auch Lohn-
kunst
heissen. Man sieht die erste so an, als ob sie nur
als Spiel d. i. als Beschäftigung, die für sich selbst ange-
nehm ist, zweckmäßig ausfallen (gelingen) könne, die
zweyte so, daß sie als Arbeit, d. i Beschäftigung, die
für sich selbst unangenehm (beschwerlich) und nur durch
ihre Wirkung (z. B. den Lohn) anlockend ist, mithin
zwangsmäßig auferlegt werden kann. Ob in der Rang-
liste der Zünfte Uhrmacher für Künstler, dagegen
Schmiede für Handwerker gelten sollen, das bedarf ei-
nes andern Gesichtspuncts der Beurtheilung, als der-
jenige ist, den wir hier nehmen, nämlich die Proportion
der Talente die dem einen oder anderen dieser Geschäfte
zum Grunde liegen müssen: Ob auch unter den soge-

*) Jn meinen Gegenden sagt der gemeine Mann, wenn man
ihm etwa eine solche Aufgabe vorlegt, wie Columbus mit
seinem Ey: das ist keine Kunst, es ist nur eine Wissen-
schaft
: d. i. wenn man es weiß, so kann man es, und
eben dieses sagt er von allen vergeblichen Künsten des Ta-
schenspielers. Die des Seiltänzers dagegen wird er gar
nicht in Abrede seyn Kunst zu nennen.

I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft.
kennt, nicht eben Kunſt genannt. Nur das, was, wenn
man es auch auf das vollſtaͤndigſte kennt, dennoch dar-
um zu machen noch nicht ſofort die Geſchicklichkeit hat,
gehoͤrt in ſo weit zur Kunſt. Camper beſchreibt ſehr
genau, wie der beſte Schuh beſchaffen ſeyn muͤßte, aber
er konnte gewiß keinen machen *).

3) Wird auch Kunſt vom Handwerke unterſchie-
den, die erſte heißt freye, die andere kann auch Lohn-
kunſt
heiſſen. Man ſieht die erſte ſo an, als ob ſie nur
als Spiel d. i. als Beſchaͤftigung, die fuͤr ſich ſelbſt ange-
nehm iſt, zweckmaͤßig ausfallen (gelingen) koͤnne, die
zweyte ſo, daß ſie als Arbeit, d. i Beſchaͤftigung, die
fuͤr ſich ſelbſt unangenehm (beſchwerlich) und nur durch
ihre Wirkung (z. B. den Lohn) anlockend iſt, mithin
zwangsmaͤßig auferlegt werden kann. Ob in der Rang-
liſte der Zuͤnfte Uhrmacher fuͤr Kuͤnſtler, dagegen
Schmiede fuͤr Handwerker gelten ſollen, das bedarf ei-
nes andern Geſichtspuncts der Beurtheilung, als der-
jenige iſt, den wir hier nehmen, naͤmlich die Proportion
der Talente die dem einen oder anderen dieſer Geſchaͤfte
zum Grunde liegen muͤſſen: Ob auch unter den ſoge-

*) Jn meinen Gegenden ſagt der gemeine Mann, wenn man
ihm etwa eine ſolche Aufgabe vorlegt, wie Columbus mit
ſeinem Ey: das iſt keine Kunſt, es iſt nur eine Wiſſen-
ſchaft
: d. i. wenn man es weiß, ſo kann man es, und
eben dieſes ſagt er von allen vergeblichen Kuͤnſten des Ta-
ſchenſpielers. Die des Seiltaͤnzers dagegen wird er gar
nicht in Abrede ſeyn Kunſt zu nennen.
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[173/0237] I. Th. Critik der aͤſthetiſchen Urtheilskraft. kennt, nicht eben Kunſt genannt. Nur das, was, wenn man es auch auf das vollſtaͤndigſte kennt, dennoch dar- um zu machen noch nicht ſofort die Geſchicklichkeit hat, gehoͤrt in ſo weit zur Kunſt. Camper beſchreibt ſehr genau, wie der beſte Schuh beſchaffen ſeyn muͤßte, aber er konnte gewiß keinen machen *). 3) Wird auch Kunſt vom Handwerke unterſchie- den, die erſte heißt freye, die andere kann auch Lohn- kunſt heiſſen. Man ſieht die erſte ſo an, als ob ſie nur als Spiel d. i. als Beſchaͤftigung, die fuͤr ſich ſelbſt ange- nehm iſt, zweckmaͤßig ausfallen (gelingen) koͤnne, die zweyte ſo, daß ſie als Arbeit, d. i Beſchaͤftigung, die fuͤr ſich ſelbſt unangenehm (beſchwerlich) und nur durch ihre Wirkung (z. B. den Lohn) anlockend iſt, mithin zwangsmaͤßig auferlegt werden kann. Ob in der Rang- liſte der Zuͤnfte Uhrmacher fuͤr Kuͤnſtler, dagegen Schmiede fuͤr Handwerker gelten ſollen, das bedarf ei- nes andern Geſichtspuncts der Beurtheilung, als der- jenige iſt, den wir hier nehmen, naͤmlich die Proportion der Talente die dem einen oder anderen dieſer Geſchaͤfte zum Grunde liegen muͤſſen: Ob auch unter den ſoge- *) Jn meinen Gegenden ſagt der gemeine Mann, wenn man ihm etwa eine ſolche Aufgabe vorlegt, wie Columbus mit ſeinem Ey: das iſt keine Kunſt, es iſt nur eine Wiſſen- ſchaft: d. i. wenn man es weiß, ſo kann man es, und eben dieſes ſagt er von allen vergeblichen Kuͤnſten des Ta- ſchenſpielers. Die des Seiltaͤnzers dagegen wird er gar nicht in Abrede ſeyn Kunſt zu nennen.

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Zitationshilfe: Kant, Immanuel: Critik der Urtheilskraft. Berlin u. a., 1790, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kant_urtheilskraft_1790/237>, abgerufen am 09.05.2024.